Nacht der Versuchung
wollte ihr wirklich keine Schwierigkeiten machen. “Es tut mir leid, wenn sie sich aufgeregt hat”, sagte sie und seufzte. “Aber ich habe Seiner Hoheit versprochen, den Fries so schnell wie möglich fertigzustellen. Ihre Tante ist eine alte Dame, die ihre Nachmittagsruhe braucht, wohingegen ich die Zeit nutzen muss, um zu arbeiten. Ob Sie es glauben oder nicht, Xavier, auch ich muss an … meinen Ruf denken.”
“Und warum kommen Sie dann nicht zu mir und erklären mir das alles, anstatt sich wie ein kleines Kind zu benehmen und sich davonzustehlen, sobald meine Tante Ihnen den Rücken zukehrt?”
Mariella schwieg nachdenklich. Sein Einwand klang vernünftig und nur allzu verständlich, oder nicht? “Ihr … bisheriges Benehmen mir gegenüber hat mich nicht gerade ermutigt, bei Ihnen Hilfe oder Kooperation zu erwarten”, sagte sie ehrlich, stieg von der Arbeitsbühne herunter und reckte dabei die schmerzenden Glieder.
“Meine Tante will es zwar nicht wahrhaben, aber sie ist wirklich eine alte Dame”, räumte Xavier ein. Im nächsten Moment sprang er auf sie zu. “Vorsicht!”
Die Arbeitsbühne schwankte bedenklich unter ihren Füßen, und Mariella verlor das Gleichgewicht. Mit einem leisen Aufschrei fiel sie vornüber, aber Xavier fing sie geistesgegenwärtig auf und half ihr sicher zu Boden.
Mariella wusste, dass dieser Beinahe-Unfall allein ihre Schuld war. Viel zu lange hatte sie in einer verkrampften Stellung gearbeitet und sich nicht einmal eine Pause zum Trinken gegönnt. Aber anstatt sie triumphierend zu maßregeln, wie sie es insgeheim erwartete, hielt er sie einfach nur fest und drückte sie an sich. Seine Nähe machte Mariella ganz benommen. Sie schloss die Augen, aber dadurch wurde es nur noch schlimmer. Verlockende, ungemein erotische Bilder stiegen vor ihr auf. Sie spürte, wie ihr die Knie weich wurden und sie am ganzen Körper zitterte.
“Mariella? Was ist?”, fragte Xavier besorgt. “Fühlen Sie sich nicht gut …?”
Sofort blickte sie auf. “Nein, nein …” Sie verstummte. Wie gebannt ruhte ihr Blick verlangend auf seinem Mund.
Die plötzlich so bedeutsame Stille verriet ihr, dass Xavier fühlte, was in ihr vorging. Aber die warnende Stimme ihrer Vernunft blieb ungehört inmitten des Aufruhrs ihrer leidenschaftlichen Gefühle. Mariella war machtlos, brachte nicht mehr die Willenskraft auf, sich dagegen anzustemmen. Ganz am Rande registrierte sie, dass Xavier sie jetzt in unmissverständlicher Weise an sich presste und den Blick bedeutsam über ihre halb geöffneten Lippen schweifen ließ. Mariella erschauerte. Ganz unwillkürlich ließ sie die Zungenspitze über die Lippen gleiten und blickte mit angehaltenem Atem zu Xavier auf. Ihre großen, ausdrucksvollen Augen waren wie ein Spiegelbild ihrer Seele.
“Mariella!”
Sie spürte, wie er tief einatmete, und schmiegte sich an ihn. Langsam beugte er sich herab und küsste sie, so zärtlich und innig, dass Mariella alles um sich her vergaß und sich ganz in diesem Kuss verlieren wollte.
Im nächsten Moment hörte Xavier, wie sich über den Gang Schritte näherten, und schob Mariella gegen ihren Protest von sich fort. Noch völlig benommen sah sie zu, wie Xavier seinem Chauffeur Ali entgegenging.
Sie hob die Hand und berührte ihre Lippen, als könnte sie nicht glauben, was geschehen war. Und sie hatte es gewollt … sie hatte gewollt, dass Xavier sie küsste, wollte es immer noch. Alles in ihr sehnte sich danach, ihm in einer Weise zu gehören, wie sie es kaum zu träumen wagte. Aber … sie und Xavier waren doch Feinde, oder nicht?
Er kam zu ihr zurück. Irgendwie musste sie sich fassen und vor ihm verbergen, was mit ihr los war. Panik schnürte ihr die Kehle zu.
“Wir müssen sofort zur Villa zurück”, sagte Xavier schroff.
“Was ist los?”, fragte sie sofort besorgt. “Ist etwas mit deiner Tante?”
Er sah, dass sie ihre Malutensilien einzusammeln anfing, und hielt sie davon ab. “Lass das alles liegen.” Schon war er bei Fleurs Kinderwagen und schob ihn davon.
Mariella hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten, und wurde überdies von schlechtem Gewissen geplagt. Was, wenn Madame Flavel etwas zugestoßen war, nur weil sie, Mariella, so eigensinnig Xaviers Anordnungen übergangen hatte?
In angespanntem Schweigen fuhren sie zur Villa zurück. Als sie auf dem Hof vorfuhren, gab Xavier Ali noch einige Anweisungen auf Arabisch. Dann stieg er aus, nahm Fleur aus dem Auto und wandte sich an Mariella: “Komm
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