Nacht der Zaubertiere
wollte.
Karamel blinzelte. »Was habt ihr denn?«
Einstein trat vor und stemmte die Stummelhände auf seine breiten Hüften. »Ich kann nur eins dazu sagen: Ich wäre richtig stolz, wenn du meine Mutter wärst«, sagte er bewundernd.
»Wenn sie deine Mutter wäre«, kicherte Hupf, »dann wärst du ein Hund und kein Elefant.«
»Um ihr Junges zu sein«, erwiderte Einstein, »würde ich wahrscheinlich selbst meinen Rüssel und meinen Traum von der Steppe aufgeben.«
»Abstammung ist eine interessante Sache«, bemerkte der Alte und stützte sich mit beiden Händen auf seinen Stock. »Wenn Karamel Einsteins Mutter wäre, dann wäre wahrscheinlich kein normaler Elefant aus ihm geworden, sondern ein Hundefant. Oder ein Elehund.«
»Wir haben einen Auftrag«, sagte Amos, um sie wieder daran zu erinnern, »und wir haben keine Zeit zu vergeuden.«
Plötzlich erhob sich der Sturm wieder und heulte in den Bäumen.
»Mir nach!« rief Amos und verließ die Brük- ke, eilte den Gartenweg entlang auf die lehmige Landstraße zu, die zu der geteerten Autostraße führte.
Kurz nachdem Rex aus dem Keller geklettert war und nun durch das Schwingtürchen der Kohlenschütte in die Nacht hinauskroch, hörte er einen Hund bellen. Während sich die anderen Spielzeugfiguren hinter ihm durchzwängten, sagte Rex: »Ich wette, der hat unsere kleinen Freunde erwischt. Wenn wir den Hund finden, dann werden wir auch auf unsere Beute stoßen.«
Das Bellen brach jedoch ab, ehe sie es lokalisieren konnten. Doch das Heulen des Windes klang manchmal so wie das eines Hundes, so daß sie ein um das andere Mal in die falsche Richtung gelockt wurden.
»Stecherin!« sagte Rex schließlich. »Steig auf und such die Zaubertiere, und wenn du sie gefunden hast, komm wieder zu mir zurück und erstatte Bericht.«
Die Hornisse antwortete: »Summ-summ, ja-ja, zu-zu Befehl, summ-summ.« Ihre dünne, schrille Stimme klang so ähnlich wie der hohe Ton eines Zahnbohrers. Sie schwang sich mit einem wütenden Sirren ihrer Metallflügel in die sturmdurchtoste Nacht empor.
Viktor Liebmann bog von der Autostraße in die Landstraße ab, die zur Spielzeugfabrik führte. Ein paar welke Blätter wirbelten im Wind quer über die Fahrbahn, und das welke Gras zitterte im Luftzug. Von beiden Seiten streckten kahle alte Eichen die nackten Äste zueinander, so daß sie so etwas wie ein Kreuzgewölbe bildeten.
Isaaks Haus konnte er nicht sehen, doch es war ganz in der Nähe, und plötzlich empfand Viktor wieder tiefe Trauer. Er drosselte die Geschwindigkeit, denn es war ihm gar nicht mehr eilig, das Haus zu erreichen. Die Auflösung von Isaaks Haushalt würde ihn nur noch niedergeschlagener machen.
»Wenn du doch nur erwachsen geworden wärst«, murmelte Viktor, als ob ihn sein Onkel hören könnte. »Wenn du dich doch nur daran gewöhnt hättest, daß es in der Wirklichkeit keine Zauber gibt, keine Wunder... Wenn du doch nur deinen kindlichen Glauben an das Gute in den Menschen abgelegt hättest... Wenn du nur begriffen hättest, daß das Leben hart und grausam ist, dann hätten wir uns vielleicht nicht so entfremdet. Wir wären sicher vertrauter miteinander gewesen, mehr so, wie Onkel und Neffe verbunden sein sollten. Ach, Isaak, warum warst du nur so ein hoffnungsloser Träumer.«
Er rollte um die Kurve und sah sechs kleine Gestalten den Weg überqueren. Im ersten Augenblick hielt er sie für normale Tiere, eine Katzenfamilie oder Eichhörnchen oder Waschbären, aber dann riß er die Augen auf und schaute genauer hin. Es waren Spielzeugtiere. Spielzeugtiere!
Viktor erkannte einen Teddybären in einem blauen Pullover, einen Hund, ein Karnickel mit einer Weste. Er sah eine Katze in einem Kavalierskostüm. Einen Elefanten, der eine Hose mit Hosenträgern trug. Dann noch irgendein Geschöpf, das er nicht genau bestimmen konnte.
Die Spielzeugtiere erschraken und erstarrten. Das Heulen des Windes, der den Sturm ankündigte, hatte offenbar das Motorengeräusch übertönt.
Viktor trat auf die Bremse und starrte ungläubig durch die Windschutzscheibe.
Die Spielzeugsachen erwiderten seinen fassungslosen Blick.
Isaaks Spielzeugtiere. Da war jeder Zweifel ausgeschlossen. Viktor erinnerte sich von seinem letzten Besuch an den Teddybären. Und das undefinierbare Ding, das mit der langen Schnauze, hatte so lange in Isaaks Werkstatt gestanden, wie Viktor nur denken konnte. Isaak hatte sie seine Kinder genannt, seine Zaubertiere.
Der Elefant wandte sich zum Teddybären
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