Nacht der Zaubertiere
für unsere Rasse.«
Der schwarzbraune Hund knurrte wieder, und schaumige Spucke flog ihm von den Lefzen.
Karamel fuhr fort: »Der Hund ist der beste Freund des Menschen. Ein Hund sollte edel sein, treu, freundlich und hilfsbereit. Hat dir denn deine Mutter nicht beigebracht, wie man sich benimmt? Wenn du mein Junges wärst, dann wüßtest du aber, was Höflichkeit ist. Schäm dich. Schäm dich in Grund und Boden.« Der Köter hörte zu knurren auf, warf den Kopf zurück und machte ein dummes Gesicht.
»Stell dir nur vor, wie deiner armen Mutter zumute wäre, wenn sie dich hier so sehen müßte«, sagte Karamel. »Aufregen würde sie sich und zu Tode schämen, daß sie es nicht geschafft hat, dich anständig zu erziehen.« Zuerst hatte Amos gedacht, daß Karamel eine List anwendete, aber nach einer Weile wurde ihm klar, daß sie den Köter gar nicht verspottete. Es war ihr vollkommen Ernst mit dem, was sie dem Kettenhund vorwarf. Sie war wirklich vollkommen außer sich, daß sich ein Hund so schlecht benehmen konnte. In ihrer sanften Stimme klangen Trauer, Enttäuschung und ein zartes Schelten. »Ein Hund, auf den seine Mutter nicht stolz sein kann, ist tief zu bedauern. Deine Mutter hat dich schließlich auf die Welt gebracht. Mütter sollten geehrt und geachtet werden. Alles, was du im Leben tust, sollte zur Ehre deiner Mutter geschehen und nicht zu ihrer Schande.«
Karamels Strafpredigt und ihre eindeutige Mißbilligung schienen dem Kettenhund irgendwie nahezugehen. Er hörte auf zu knurren. Er leckte sich die Lefzen und zwinkerte und machte ein verdutztes Gesicht. Karamel trottete über die Brücke bis auf den steinernen Fußweg und begann seelenruhig, um den Köter herumzugehen und ihn dabei von oben bis unten zu mustern, als ob sie eine Richterin und dieser echte Hund ein gottverlassener Gauner wäre, über dessen Bestrafung sie zu entscheiden hätte. Der Kettenhund drehte sich wie ein Kreisel und beobachtete Karamel ängstlich, während sie um ihn herumtrippelte.
»Und deine Kette hast du auch noch zerrissen, wie ich sehe«, sagte Karamel. »Also: von zu Hause ausgerissen. Du hast offensichtlich überhaupt nicht an die Sorgen und den Ärger gedacht, die du deinem Herrn dadurch verursachst. O nein, solche Überlegungen haben in dem eigensüchtigen Dickschädel so eines pflichtvergessenen Hundes natürlich keinen Platz. Du denkst nur an deine eigenen Abenteuer, du denkst nur an dich selbst, ganz ver-
sessen darauf, ein paar verschreckte Katzen zu hetzen und ein paar Spielzeugtiere in Angst zu versetzen, die nicht einmal halb so groß sind wie du. Deine arme Mutter. Ach je, deine arme, arme-Mutter. Sie tut mir von ganzem Herzen leid.«
Der Kettenhund stieß ein sonderbares Winseln aus.
Amos und die anderen Zaubertiere beobachteten Karamel verblüfft und voll Bewunderung. Nachdem sie einmal ganz um den struppigen Hund herumgegangen war, sagte Karamel: »Klar, du könntest uns leicht in Fetzen reißen. Aber zu einem großen Helden macht dich das noch lange nicht. Höchstens zu einem Schinder, der Schwächere einschüchtert, eine Schande für deine Mutter und deinen Wurf, eine Schande für die ganze edle Rasse der Hunde.«
Der Kettenhund jaulte laut und ließ den Kopf hängen.
»Schämst du dich? Und ob du dich zu schämen hast! Wenn du auch nur den schwachen Wunsch verspürst, das wieder gutzumachen und die Liebe deiner braven Mutter zu verdienen, dann kann ich dir nur raten, klemm dir den Schwanz auf der Stelle zwischen die Beine, schleich dich heim, leck die Hand deines Herrn, und sei von nun an gehorsam und brav.«
Der Kettenhund machte kehrt und kroch davon, den Bauch fast auf dem Boden. Zweimal schaute er zurück, und jedesmal befahl ihm Karamel mit sanfter, aber strenger Stimme, sich davonzuscheren. Nach zwanzig Schritten war er im Schatten der
kahlen und im Sturm sausenden Bäume verschwunden.
Karamel wandte sich an ihre Freunde und sagte: »Bitte vergebt ihm sein ruppiges Benehmen. Wer weiß, vielleicht ist er von einem bösen Herrn geprügelt worden oder von schlecht erzogenen Kindern gequält. Aber das, was er wirklich erleiden mußte, ist nicht im geringsten eine Entschuldigung für seine Grobheit.«
»Du warst überwältigend«, sagte Amos.
»Ich ziehe meinen Hut vor ihnen, tapfere Dame«, sagte der Gestiefelte Kater galant. Aber weil ihm sein Kavaliershut am Kopf festgenäht war, riß er sich fast selbst um und verlor das Gleichgewicht, als er mit einer eleganten Geste den Hut schwenken
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