Nacht der Zaubertiere
der Alte fort. »Stimmt das nicht, Amos?«
»Hmmm... Muster... Jawollja.«
»Deshalb«, fuhr der Alte fort, »werden wir schon den richtigen Weg finden, wenn uns Amos führt.«
Hupf sagte aufgeregt: »Ja, los, führ uns schon, Chef. Führ uns aus diesem gräßlichen Regen raus und rein in Martha Millers gute Stube.«
Amos schaute nach links. Er schaute nach rechts. Er schaute nach vorn und nach hinten.
»Übernimm die Führung«, sagte Einstein.
»Also gut«, antwortete Amos. Er riß die Schultern zurück, wölbte die Brust vor und versuchte wie ein Anführer auszusehen. Er zeigte mit großer Bestimmtheit zum nördlichen Ende des Parkplatzes. »Da lang.« Mit flotten Schritten marschierte er zwischen den parkenden Autos hindurch, planschte ohne zu zögern quer durch die Pfützen, obgleich er keine Ahnung hatte, wohin er ging.
Als der Lastwagen vor den Toren einer Baufirma hielt, mußten Rex und seine Bande vom Anhänger springen. Die Straße war leer, bis auf ein langsam fahrendes Auto, einen Häuserblock von ihnen entfernt, und deshalb konnte sich Rex darauf verlassen, daß niemand gesehen hatte, wie er und die anderen vom Anhänger geglitten, unter ihm hindurch und im strömenden Regen in die nächste Einfahrt gelaufen waren.
Obgleich an beiden Enden der schmalen Gasse Straßenlampen brannten, war sie in der Mitte stockfinster. Die Spielzeugfiguren drängten sich in der tiefsten Schwärze zusammen, vor einer Reihe von Mistkübeln.
»Das ist schon besser«, krächzte der Schratz mit seiner kalten Flüsterstimme, die so klang, als ob der Sturm selbst mit ihr spräche, von Lippen aus Regen und mit einer Zunge aus Wind.
Er entfernte sich von den anderen und schlug in der Mitte der Gasse ein paar Kreise und Achter. Die Stahlräder seiner Kiste klapperten und quietschten auf dem nassen Pflaster, und als er mit Schwung durch eine Pfütze rollte, hinterließ er eine schmale Kielspur.
»Keine Felder mit Furchen mehr, keine holprigen Waldwege«, stellte er zufrieden fest. »Die ganze Stadt ist gepflastert und glatt von Teer und Beton und Kacheln und Steinen. Ah, das ist wie geschaffen für beräderte Wesen wie mich.« Kichernd surrte er auf die anderen Spielzeuge zu und bremste scharf vor Rex. »Wenn wir sie erst mal erwischt haben, dann können mir diese Zaubertiere mit ihren weichen Bälgern nicht entkommen, denn ich kann doppelt so schnell rollen, wie sie rennen können. Ich werd’ sie für dich schnappen, Rex. Ich werd’ sie für dich erwischen. Ich werd’ sie überrollen.«
Die Stecherin hatte sich am Rande einer Mülltonne niedergelassen, aber Schratz’ Aufregung hatte sich auf die Hornisse übertragen. Sie stieß sich ab, stieg fünf oder sechs Stockwerke steil nach oben, ließ sich wie in einem Sturzangriff wieder fallen, schoß hierhin und dahin und blieb schließlich vor Rex schweben. »Kannst du sie riechen, sisssiss- siss?« fragte die Stecherin mit ihrer schrillen hohen Stimme. Die roten Augen glühten vor Bosheit. »Die Kinder? Sisssisssiss? Kannst du sie riechen, Rex?«
Rex hatte sie auch schon gewittert, und er spürte die fast unwiderstehliche Verführung dieses süßen und unschuldigen Duftes. Es wäre so leicht, die Feuerleiter des nächsten Wohnhauses hinaufzuklettern, ein Fenster aufzuschieben, hinter dem ein Kind im Schlafe lag...
»Tausende von Kindern sind um uns herum«, zischte die Stecherin. »Eine ganze Stadt voll von Kindern, die nur darauf warten, gestochen zu werden.«
»Ich kann sie auch riechen«, bestätigte Lissie. Sie hob ihren Zigarettenhalter, und die Spitze der Plastikzigarette glühte feuerrot auf. »Wir könnten für ewig in dieser Stadt leben, könnten uns tagsüber verstecken, nachts herauskriechen und uns einem Kind nach dem anderen an die Fersen heften, könnten Hunderte piesacken und quälen. Wir müßten keinen Mangel leiden.«
Eisenbeißer bewegte seine Stahlhände, als ob er ein Kind puffte und kniff. Seine gelben Augen glühten noch intensiver als die roten Augen der Hornisse. Er riß sein schartiges Metallmaul auf, klappte
seine Kiefer auf und zu und sagte mit seiner eisernen Stimme: »Eisenbeißer will beißen und reißen. Eisenbeißer will Knochen brechen.«
Rex schüttelte heftig den Kopf, nicht nur, weil er ihren Wünschen nicht nachgeben durfte, sondern weil er sich auch den eigenen Kopf freihalten mußte von dem überwältigenden Drang, sich jetzt auf der Stelle ein Kind zu suchen und bis aufs Blut zu peinigen. »Nein, nein, nein! Wir
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