Nacht des Flamingos
plötzlich.
»Noch eine Frage, Pater. Wenn ich mich nicht irre, kann es infolge des Selbstmords zu Schwierigkeiten hinsichtlich der Beerdigung kommen. Stimmt das?«
»In diesem Fall nicht«, versetzte Pater Ryan bestimmt. »Es sind verschiedene mildernde Umstände vorhanden. Ich werde die Sache persönlich dem Bischof vortragen. Ich kann schon jetzt mit ziemlicher Gewißheit sagen, daß es keine Schwierigkeiten geben wird.«
Miller lächelte. »Das freut mich.«
»Verzeihen Sie, wenn ich das sage, aber Sie scheinen beinahe persönlich interessiert. Darf ich fragen, warum?«
»Ich habe sie selbst aus dem Fluß gezogen«, erklärte Miller.
»So etwas vergißt man nicht so schnell. Eines ist gewiß – ich werde nicht ruhen, bis ich den Menschen gefunden habe, der für den Tod des Mädchens verantwortlich ist.«
Pater Ryan seufzte.
»Die meisten Menschen glauben, daß Priester vom Geschehen der Welt abgeschnitten sind und in einem Glashaus leben. Das stimmt nicht. In einer einzigen Woche sehe ich mehr Bösem ins Gesicht als andere Menschen in ihrem ganzen Leben.« Er lächelte milde. »Und dennoch glaube ich fest, daß die Menschen tief im Innern gut sind.«
»Ich wünschte, ich könnte Ihren Glauben teilen, Pater«, erwiderte Miller düster. »Ich wünschte es wirklich.«
Dann drehte er sich um und schritt rasch davon.
Mrs. Kilroy war eine ungeschlachte, wenig anziehende Witwe mit flammend rotem Haar und einem schmalen Mund, der mit kirschrotem Lippenstift so stark geschminkt war, daß er wie ein Blutfleck wirkte.
»Ich führe ein anständiges Haus«, verkündete sie auf dem Weg in das obere Stockwerk. »Bei mir hat's noch nie Scherereien gegeben.«
»Keine Sorge, Mrs. Kilroy«, beschwichtigte Brady. »Wir möchten uns nur das Zimmer ansehen. Das ist alles. Und dann werden wir Ihnen ein paar Fragen stellen.«
Der Flur war lang und dunkel. Das auf Hochglanz polierte Linoleum war in der Mitte von einem schmalen, abgetretenen Läufer bedeckt. Die Tür am Ende des Korridors war abgeschlossen. Mrs. Kilroy zog einen Schlüsselbund aus der Tasche ihrer Kleiderschürze, schloß die Tür auf und trat ein.
Der Raum war überraschend groß. Das Mahagonifurnier der viktorianischen Möbel schimmerte dunkel. Die Vorhänge des einzigen Fensters waren halb zugezogen, so daß das Rauschen des Verkehrs von der Straße her gedämpft und unwirklich klang, als käme es aus einer anderen Welt. Ein magerer Sonnenstrahl verlieh den verblichenen Farben des alten indischen Teppichs neues Leben.
Und es überraschte die beiden Männer zu sehen, wie sauber und ordentlich das Zimmer war. Die Bettwäsche war abgezogen. Die Decken waren säuberlich gefaltet und lagen ordentlich aufgestapelt an einem Ende der Matratze. Die Glasplatte des Toilettentisches wies kein Stäubchen auf.
Miller öffnete mehrere Schubladen. Sie waren alle leer. Dann drehte er sich um.
»Und in diesem Zustand haben Sie das Zimmer heute morgen vorgefunden?«
»Ja«, erklärte Mrs. Kilroy nickend. »Sie kam gestern abend gegen neun Uhr herunter und klopfte bei mir.«
»War sie aus gewesen?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Sie teilte mir mit, daß sie heute ausziehen würde.«
»Sagte sie, weshalb?«
Mrs. Kilroy schüttelte den Kopf.
»Ich habe sie nicht danach gefragt. Ich verlangte nur, unserer Vereinbarung gemäß eine Wochenmiete als Ablösung, da sie die Kündigungsfrist nicht eingehalten hatte.«
»Und sie zahlte?«
»Ohne mit der Wimper zu zucken. Nicht daß Sie mich falsch verstehen – wegen der Miete hat es mit ihr nie Schwierigkeiten gegeben.«
Brady war während der Unterhaltung im Zimmer umhergewandert und hatte sämtliche Schubladen und Schränke untersucht. Jetzt drehte er sich um und schüttelte den Kopf.
»Alles pieksauber.«
»Das bedeutet also, daß sie ihr gesamtes Hab und Gut mitnahm, als sie ging.« Miller wandte sich Mrs. Kilroy zu. »Haben Sie sie weggehen sehen?«
»Ich sah sie zum letztenmal gegen halb zehn. Sie klopfte an die Tür und erklärte, sie hätte verschiedenen Kleinkram, den sie verbrennen wollte. Sie fragte, ob sie das Zeug in den Heizofen im Keller stecken könnte.«
»Waren Sie inzwischen mal unten?«
»Nein, das ist nicht nötig. Man braucht nur alle zwei Tage nach dem Rechten zu sehen.«
»Aha.«
Miller schritt durch das Zimmer zum Fenster und zog die Vorhänge auseinander.
»Kehren wir noch einmal zu dem Zeitpunkt
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