Nacht des Flamingos
machen müssen; Tag für Tag hatten sich ihm neue Abgründe menschlicher Verworfenheit aufgetan. Sein Glaube an die Menschheit war nach und nach erstorben, er wurde zu einem harten und verbitterten Mann, den nichts mehr beeindruckte. Und dann war eines Tages etwas Merkwürdiges geschehen. In einem Handgemenge mit zwei Einbrechern, die jetzt wohlgeborgen in einem Zuchthaus Ihrer Majestät der Königin ihre Strafe absaßen, wurde er eine Treppe hinuntergestoßen, holte sich einen doppelten Beinbruch und einen schweren Schädelbruch und wurde in einer Hintergasse seinem Schicksal überlassen.
Die meisten Menschen hätten das nicht überlebt. Anders Jack Brady. Der Priester wurde gerufen und versah den Wachtmeister mit der Letzten Ölung. Dann machten sich die Chirurgen ans Werk, unterstützt von einem Team von Schwestern. Drei Monate später war Wachtmeister Jack Brady wieder im Dienst. Nur noch ein kaum wahrnehmbares Hinken erinnerte an den bösen Unfall.
Er war wiederhergestellt, und doch war er nicht der alte. Zunächst wurde allgemein festgestellt, daß er viel eher einmal zu einem Lächeln bereit war. Er war noch immer ein strenger Polizeibeamter, mit dem nicht gut Kirschen essen war, doch er schien neue Einsicht gefunden zu haben. Es war, als hätte sein eigenes Leiden ihn Mitgefühl für andere gelehrt.
Das Mädchen unterschrieb mit zitternder Hand das Protokoll. Er half ihr auf die Beine und nickte der Polizeibeamtin zu.
»Jetzt ist alles vorbei, mein Kind. Jetzt kann Ihnen nichts mehr geschehen.«
Das Mädchen schluchzte leise vor sich hin. Dann ging sie.
Gleich darauf kam Miller herein. Er hielt ein Fernschreiben in der Hand.
»Verschwenden Sie Ihre Teilnahme nicht an die junge Dame, Jack. Ich habe gerade die gewünschten Auskünfte erhalten. Sie ist vorbestraft. Sie wurde wegen Diebstahls verurteilt, später wegen Mittäterschaft bei einem Einbruch und illegalen Rauschgiftbesitzes. Im November letzten Jahres brach sie aus der Fürsorgeanstalt Peterhill aus.« Er ließ das Fernschreiben auf den Tisch fallen. »Wir haben schon ein Talent, uns die besten Stücke auszusuchen.«
»Das ist noch längst kein Freibrief für Macek«, versetzte Brady. »Im Grunde ist sie doch nichts weiter als ein verängstigtes kleines Mädchen.«
»Lieb und süß«, kommentierte Miller. »Das fehlt mir gerade noch.« Er gähnte und suchte nach einer Zigarette. Die Packung war leer. Seufzend knüllte er sie zusammen. »Das war eine lange Nacht.«
Brady nickte und hielt ein brennendes Streichholz an seine Pfeife.
»Sie ist bald vorbei.«
Die Tür wurde aufgestoßen. Zwei junge uniformierte Beamte führten Macek herein. Der Pole ließ sich auf einen der harten Stühle niederfallen, während Miller sich einem der jungen Beamten zuwandte.
»Können Sie mir eine Tasse Tee und ein Päckchen Zigaretten holen?«
Der junge Mann nickte eifrig und machte sich sogleich auf den Weg. Nick Miller war sein heimliches Idol. Nick Miller, der Mann, der ein abgeschlossenes Jurastudium hinter sich und es in der Rekordzeit von fünf Jahren zum Sergeant gebracht hatte. Sein Erfolg im Beruf und eine stille Beteiligung am Geschäft seines Bruders, so munkelte man, erlaubten es dem Sergeant, in einem Stil zu leben, den sich wenige Polizeibeamte leisten konnten.
Als die Tür zufiel, drehte sich Miller nach Macek um.
»So, und jetzt zur Sache.«
»Ich habe nichts zu sagen«, erklärte Macek störrisch.
Braddy lachte zynisch, dann wurde es ganz still. Macek warf einen verstohlenen Blick auf Miller, der angelegentlich seine Fingernägel studierte.
»Na ja«, rief der Pole schließlich gereizt, »was ist denn schon dabei, wenn ich ihr eine 'runtergehauen habe. Das hat dieses kleine Miststück doch verdient.«
»Warum?« wollte Brady wissen.
»Ich hab' sie bei mir unterkriechen lassen«, erwiderte Macek. »Ich hab' ihr ein Dach über dem Kopf gegeben und hab' mich krumm gelegt, nur damit sie's bequem und gemütlich hatte. Und dann hab' ich sie früh um zwei erwischt, wie sie mit meiner Brieftasche, meiner Uhr und was sonst an Wertgegenständen im Haus war, abhauen wollte. Was hätten Sie denn da gemacht?«
Er schien wirklich erbost und enttäuscht. Miller nahm die Aussage des Mädchens zur Hand.
»Hier steht, daß Sie fünf Wochen lang mit ihr zusammengelebt haben.«
Macek nickte eifrig.
»Es ist gutgegangen, wirklich.«
»Und die Männer?«
»Was für Männer?«
»Die
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