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Nacht des Ketzers

Nacht des Ketzers

Titel: Nacht des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Weinek
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ungeteilte Zuneigung, uneigennützig, selbstlos. Nie mehr – und nie würde er mehr erfahren, was sinnliche Liebe bedeutete.
    Nächtelang hatte er in Paris mit Michel de Montaigne, einem Freund, über die Liebe und die Lust philosophiert, bis dieser eines Tages nach einigen Bechern Wein zu ihm sagte: „Mein lieber Giordano, über die Leidenschaft kann man nicht philosophieren, man muss sie spüren oder wie ein vertrockneter Rebstock zugrunde gehen.“ Giordano wusste, dass ihm das als Mönch, als Priester untersagt war, aber der war er ja schon längst nicht mehr. Schon seit geraumer Zeit war er exkommuniziert. An kein Gelübde mehr gebunden. Frei zu tun und zu lassen, was er wollte. Dann hatte er geträumt, von sinnlichen Lippen, die seine berührten, Händen, die ihn liebkosten. Nackte Haut, keuchender Atem, alles hatte sich wunderbar angefühlt, alles war ihm klar und schön erschienen. Am nächsten Morgen hatte er einige Gedichte über die sinnliche Liebe verfasst … das Papier zerknüllt, als er gelesen hatte, was seine Gedanken ihm in die Feder diktiert hatten … noch einmal begonnen, wieder zerknüllt … sich geschämt. Geschämt über die Scham. Sich einen dummen Esel gescholten und dabei doch so etwas wie Glück empfunden. Er spürte, dass er lebte und dass da noch mehr war als nur die Erforschung des unendlichen Kosmos. Als Gelehrte in ihren Talaren, die es zu widerlegen galt. Dispute, Thesen, das konnte doch nicht alles sein.

Kapitel 13
     
    Die Schlafkammern in Guiseppes Herberge waren wie die in Giordanos mit je zehn Betten ausgestattet. Es roch nach Schweiß, Zoten und derbe Flüche schwirrten durch die Luft. Die meisten Herbergsgäste waren junge Burschen aus den nördlichen Regionen, die Abenteuerlust dazu bewog, auf irgendeinem Schiff als Matrose dem kärglichen Leben als Bauer zu entfliehen. Falsche Hoffnungen und Sehnsüchte nährten sich aus den Geschichten über das aufregende Leben der Seefahrer. Tresterbrand im Tonkrug machte die Runde. Mit Flaum auf den Oberlippen und roten Ohren lauschten die Jungen den immer wilder werdenden Erzählungen derer, die vorgaben, die Erfahreneren und Abgebrühteren zu sein. Auch Guiseppe hörte gespannt zu, und als der Tonkrug einmal bei ihm haltmachte, trank er geistesabwesend, bekam aber gleich darauf einen furchtbaren Hustenanfall, was die anderen zu schadenfrohem Gelächter veranlasste. Die Luft war stickig in den kleinen Räumen, so als sollten die angehenden Matrosen hier bereits auf ihre zukünftigen Lebensumstände vorbereitet werden. „Was ist mit dir, Freund, willst du auch auf ein Schiff?“ Ein schon etwas älterer Kerl mit knorrigem Gesicht unter dichtem Barthaar hatte sich zu dem Mönch gesellt. „Unermessliche Reichtümer, schöne Frauen, alles, was du willst“, schwärmte er, vom Schnaps offensichtlich schon benebelt.
    Guiseppe beschloss, erst einmal auf Erkundung zu gehen. Auch durfte er Giordano nicht aus den Augen verlieren. Die Straße, in der sie sich befanden, war voll von billigen Absteigen und Kneipen, in denen Trinker mit Schnaps und Huren ihr letztes Geld und ihre Würde durchbrachten. Matrosen, Soldaten, Kaufleute, Handwerker auf der Suche nach dem Glück. Der Hafen, das Ende des Festlandes, ein neuer Beginn, ein Neuanfang, das Alte hinter sich lassend, eine neue Chance. Die Hafenstadt Mestre, obwohl ein Vielfaches an Einwohnern zählend, hatte immer schon im Schatten des übermächtigen Venedig gestanden, ein Wartesaal der Hoffnungen und Sehnsüchte. Manchen gelang die Abreise, manche spülte das Meer wieder zurück. Nur wenige versuchten es ein zweites, ein drittes Mal. Strandgut, dessen kläglicher Versuch, Fuß zu fassen, die stete Brandung unterspülte und letztlich zunichtemachte. Die engen Straßen Mestres waren schmutzig, und nach jeder Kutsche und jedem Eselskarren bekam Guiseppe Staub in Mund und Nase. Auch hatte die Pest die Gegend noch nicht ganz verlassen, und man sah immer wieder Kreuze auf Haustüren, die bedeuteten, dass ein Toter abzuholen war. Die meist nur einstöckigen Häuser waren von billiger Bauart und hatten nichts von den mondänen Palazzi der großen Schwester gegenüber.
    „Willst du ein Bett?“ Giordanos Herberge war etwas größer als die Guiseppes. Der Herbergswirt war ein feister Kerl, dessen weites Leinenhemd speckig glänzte. Im runden, teigigen Gesicht hatte er kleine rote Pickel. Er erhob sich nicht aus seinem wackelig aussehenden Stuhl, sondern schloss einfach die Augen, als der Fremde

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