Nacht des Ketzers
abwinkte und erklärte, er sei nur auf der Suche nach einem Freund. Aber der Freund war nicht da. Guiseppe hatte alle Zimmer durchsucht, vorsichtig durch die Türen spähend, immer auf der Hut, falls Giordano plötzlich vor ihm stehen und ihn erkennen sollte. Zurück auf der Straße, wurde er sofort von Wanderhändlern bedrängt, so als hätten die Menschen hier Geld für den Tand, den sie anboten. Er ging die Straße auf und ab und hatte die Hoffnung schon aufgegeben, den Mitbruder doch noch zu finden, da sah er ihn durch das offene Fenster im hinteren Winkel einer Spelunke tief gebeugt über einem Papier, den Federkiel in der Rechten, ein Tintenfass vor sich. Wenn er jetzt nur seine Gedanken lesen könnte. Er hätte alles dafür gegeben zu erfahren, was Giordano umtrieb und was er zu Papier brachte. Das Wirtshaus war kärglich eingerichtet, aber dunkel genug, dass er es wagen konnte, es zu betreten, ohne sogleich erkannt zu werden. Er setzte sich mit dem Rücken zu dem Schreibenden, und der Wirt stellte ihm, ohne zu fragen, ein seltsames, abscheulich schmeckendes, sehr säuerliches rot-trübes Gebräu auf den Tisch. „Unser Hauswein“, zischte er verächtlich grinsend zwischen den Zahnlücken hervor. Sein Atem roch nach Alkohol. Der Wein war nicht wie üblich gesüßt, mit Gewürzen versehen und mit Wasser verdünnt. Ein weiterer Gast an seinem Tisch war eingeschlafen und hatte den Kopf auf dem Arm abgestützt. Die anderen Gäste unterhielten sich lautstark, würfelten oder spielten Karten, so dass Guiseppes Hoffnungen schwanden, er könnte Giordano bei Selbstgesprächen belauschen, wie er sie früher oft und gern geführt hatte, wenn er angestrengt über einer Niederschrift saß. Kein Wort drang an sein Ohr, sosehr er sich auch anstrengte.
Diese Prozedur wiederholte sich einige Wochen lang. Bald schon fand Guiseppe heraus, dass Giordano sich am Morgen ins Wirtshaus begab, zu Mittag seine Schreibarbeiten unterbrach und Richtung Hafen ging, wo man auf offenem Feuer gebratene Sardinen auf Fladenbrot feilbot. Nach einer kurzen Mahlzeit legte sich Giordano meist an einem schattigen Platz an der Mole, die Richtung Venedig zeigte, zur Ruhe, um danach seine Arbeit im selben Wirtshaus wieder aufzunehmen. Schon nach wenigen Tagen verfiel der kleine Mönch in fast denselben Rhythmus, nur dass er die Morgenstunden dazu nutzte, nach Gebeten in einer nahen kleinen Kapelle Schreibarbeiten für die Händler und Handwerker zu übernehmen, um sich so seinen Aufenthalt zu finanzieren. Gerne wäre er einmal mit dem Boot nach Venedig gefahren, um sich endlich die Stadt anzusehen, über die er so viel schon gehört hatte. Aber die Gefahr war zu groß, dass Giordano seine Arbeit abbrach und sich ein neues Reiseziel suchte. Guiseppe hatte mehrmals die Herberge gewechselt, da er den Gestank und die Derbheit der Gäste nicht mehr ertrug. Aber bald musste er erkennen, dass das Verhalten der Menschen hier überall gleich war. Schwache wurden verspottet, Starke bewundert und verehrt, und der Alkohol machte sie alle zu Brüdern, bis wieder zwei über irgendeine Nichtigkeit in Streit gerieten. Dann flogen die Fäuste, und nicht selten endete ein Zwist in einer Messerstecherei, bis Blut floss. Guiseppe war geschickt und flink genug, solchen Auseinandersetzungen auszuweichen, und Giordano war dermaßen in seine Arbeit vertieft, dass er gar nicht mitbekam, wenn es draußen auf der Straße wieder einmal wegen nichts um Leben und Tod ging.
Nach einigen Wochen änderte sich alles schlagartig. Giordano ging nicht wie jeden Morgen ins Wirtshaus, sondern steuerte geradewegs den Hafen an, um sogleich, ein dickes Bündel unter dem Arm, ein Fährboot nach Venedig zu besteigen. In letzter Sekunde gelang es Guiseppe, noch auf das Boot zu springen, und er wäre dabei fast mit dem Mitbruder zusammengeprallt. Vor Schreck, und um sich an der Reling festzuhalten, ließ dieser sein Bündel fallen, und ein paar beschriebene Seiten kamen zum Vorschein. Guiseppe konnte gerade noch die Worte „Segni de` Tempi“ erkennen, bevor er sich, eine Entschuldigung murmelnd, schnell in den hinteren Teil des Schiffes verzog, wo er es sich zwischen Kisten voller Zitronen, Oliven, Feigen und kleinen Holzkäfigen mit Singvögeln niederließ.
Die Einfahrt in den Canal Grande ließ den Mönch erschauern. Von weitem schon hatte er den Campanile am Markusplatz sehen können. Nun aber tauchte er ein in eine ihm bisher unbekannte Welt. Die Pracht der Paläste, die bunt
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