Nacht des Ketzers
Weltgeschehen. Also ist auch die Philosophie niemals ganz frei von der Theologie und umgekehrt.“
Einige der Inquisitoren rutschten unruhig auf ihren Stühlen hin und her. Zu oft hatten sie schon miterlebt, wie Giordano, den meisten von ihnen intellektuell haushoch überlegen, sie mit seinen Reden in die Enge trieb, bis nur noch der Vorsitzende selbst dem ein Ende setzen konnte.
„Ich bin gerne bereit, verehrte Mitglieder des Heiligen Offiziums, Euch meine Überlegungen darzulegen.“
Ein Stöhnen ging durch den Raum, aber Bellarmin ließ ihn gewähren. Mit einer kurzen Handbewegung bedeutete er ihm, fortzufahren.
„Wie überhaupt ich bereit bin und es immer war, mit jedem Theologen in einen Disput zu treten.“ Giordano wusste genau, dass er immer betont hatte, sich nicht den Theologen, sehr wohl aber dem Papst und seinen Dekreten verpflichtet zu fühlen.
„Wer hat die Dinge erschaffen, so wie sie sind?“, der Kardinal erkannte, dass sie so nicht weiterkamen.
„Es gibt eine absolute Macht, eine, die wir Gott nennen. Eine, die unendlich ist und die in der Lage ist, Unendliches zu schaffen – und es gibt eine Macht, die eben genau dies nicht tut. Die Endliches, Vergängliches schafft. Sie ist ein Teil Gottes, aber nicht Gott als Gesamtheit. Sofern also Dinge von der ersten, der kreativen Macht erschaffen sind, sollen sie als unendlich betrachtet werden. Sobald sie aber als endlich erachtet werden, können sie unmöglich einer unendlichen Ursache zugeschrieben werden.“
Wieder ging ein Raunen durch das Offizium. Bellarmin war neben Beccaria der Einzige, der verstand, worauf Bruno hinauswollte. Wenn Gott allmächtig war, konnte er sich nicht mit einer einzigen, endlichen Welt begnügen.
„Wenn ihr aber der Meinung seid, dass Gott nur diese eine Welt erschaffen und sie zum Mittelpunkt aller Dinge erkoren hat, dann seid ihr es, die an der Allmacht Gottes zweifelt.“ Giordanos Stimme wurde lauter, obwohl seine von Durst entzündete Kehle brannte. Der Schmerz war ihm egal. „Aber ihr könnt ja gar nicht anders, als euch der Meinung Aristoteles’ und seiner im Geiste beschränkten Anhängerschar anzuschließen, da sonst euer eigenes Weltbild, euer eigenes Glaubensdogma ins Wanken gerät.“
„Bruder Giordano“, fuhr der Vorsitzende scharf dazwischen, doch er ließ sich dadurch nicht beirren.
„Deshalb sage ich euch, es gibt neben dieser Welt noch viele Welten, eine unendliche Anzahl von Welten, denn nur ihre Existenz ist der wahre Beweis der Allmacht Gottes. Wer Gott eingrenzt und ihm nur die Schöpfung einer Welt zutraut, sollte hier der Angeklagte sein.“ Giordano schmeckte Blut. Seine Unterlippe war wieder aufgeplatzt, und das Blut vermischte sich mit seinem Speichel. „Eigentlich könntet ihr gleich über euch selbst zu Gericht sitzen.“
Einige der Inquisitoren sprangen empört auf. Bellarmin und der Ordensgeneral saßen stumm und mit versteinerter Miene da. Der Kardinal sah, dass sein Plan, den Ketzer doch noch auf den rechten Weg zu bringen, in weite Ferne gerückt war. Beccaria erkannte, dass er Giordano Bruno auf den Leim gegangen war und dass der Ketzer nie, zu keiner Zeit, daran gedacht hatte zu widerrufen. Ganz im Gegenteil, nun hatte er durch sein Schreiben auch noch den Papst beleidigt. Oder konnte es sein, dass er den tieferen Sinn des Schreibens einfach nicht verstanden hatte? Dass er in einem Anflug von Euphorie den Kern von Brunos Ausführungen falsch interpretiert hatte?
„Was ist mit der Seele, was hast du dazu vorzubringen?“, nahm der Kardinal einen neuen Anlauf.
„Die menschliche Seele entspringt dem Unendlichen. Von Gott erschaffen, kehrt sie zum Unendlichen zurück, um erneut erschaffen zu werden. Der menschliche Körper ist nur der Kerker der Seele.“
„Ah, Platon“, wollte Bellarmin schon dazwischenrufen, doch dann ließ er Bruno fortfahren.
„Die Seele ist einer steten Wanderung unterzogen. Die Seele war immer, ist immer und wird immer sein. Nur ihre äußere Form verändert sich. Mal ist sie Mensch, mal ist sie Tier. Mal ist sie Pflanze, mal Mineral. Jeder Körper ist beseelt, und alles schließt sich zur unendlichen Weltseele zusammen. Ein Hund beispielsweise, der seinem Instinkt folgend dem Schäfer hilft, die Schafherde zusammenzuhalten und gegen Eindringlinge zu verteidigen, wird von der Seele gesteuert. Anders zwar, auf einer anderen Entwicklungsstufe als der Mensch, aber doch ist es die Weltseele, die ihn lenkt, die ihn tun lässt, was er tun muss. Es
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