Nacht des Ketzers
Guiseppe auch länger in der Stadt, genoss die Stille, die plötzlich alles überzog, studierte in Ruhe die Architektur. Maurische Rundbogen, Erker, die weit über die Kanäle ragten, die allermeisten Fensterläden geschlossen. Gondeln schaukelten verlassen, ruhig und träge im sanften Wellengang. Ab und zu sah er Menschen in einer schattigen Nische schlafen. Beim Dogenpalast herrschte emsiges Treiben. Guiseppe sah Soldaten, die dabei waren, eine der vielen in der großen Lagune vor Anker liegenden Fregatten mit Musketen, Lanzen und allerlei anderem Kriegsgerät zu beladen. Fässer mit Nahrung, Waffen aller Art, Seile, Leinen, Netze wurden unermüdlich herangekarrt. Nur wenige Jahre zuvor hatte die venezianische Flotte eine erfolgreiche Seeschlacht gegen das Osmanische Reich geschlagen. Gemeinsam mit Genua und der spanischen Flotte war man losgezogen, um dem Wunsch Papst Pius’ V. zu folgen und der Vormachtstellung der Osmanen im Mittelmeerraum Einhalt zu gebieten. Die heilige Liga, wie das Bündnis genannt wurde, hatte Unterstützung durch die Herzogtümer Savoyen, Florenz und Padua gefunden. Unter der Führung Don Juans de Austria hatte man die Osmanen zurückgedrängt und wie wenige Jahrzehnte zuvor vor Wien in ihre Schranken gewiesen. Bestimmt war auch Giordanos Vater als Soldat auf einem der spanischen Schiffe gewesen.
Guiseppe beobachtete das Treiben eine Weile, beschloss aber dann, sich doch lieber davonzumachen, da man sich abends in den Herbergen Geschichten darüber erzählte, dass man junge Burschen ohne viel Federlesens auf eines der Kriegsschiffe verfrachten würde, sollte gerade Not am Mann sein.
Giordano verbrachte die meiste Zeit lesend. In der Libreria Vecchia gegenüber dem Dogenpalast hatte er einige Schriften von Platon entdeckt. Verbarrikadierte sich in den kühlenden Hallen der Bibliothek, warf ab und zu einen Blick durch die hohen Spitzbogenfenster auf die Bleikammern neben dem Dogenpalast. Holzgerüste bereiteten einen Verbindungsgang zwischen Dogenpalast und Gefängnis vor. Er beobachtete die Arbeiter, wie sie unter Anleitung der Ingenieure mit Seilzügen Steine auf das komplizierte Konstrukt aus Holzstämmen hievten. Bald würden Verurteilte über diese Brücke ihren schweren Gang in Venedigs Gefängnis antreten, und niemand würde an der Piazza San Marco ihr Schreien, ihre Angst vor der Folter und dem nahenden Tod bemerken.
Sein erstes Buch würde bald gedruckt sein. Ein Anfang war gemacht, um den Pfaffen zu beweisen, wie sehr sie irrten. Giordano wusste, dass ihn die Kirche dafür umso mehr verachten würde, aber es war ihm egal. Wahrheit war sein Ziel, und um ihretwillen war er bereit, jeden Weg zu beschreiten.
Es vergingen abermals zwei Wochen, bis er sich ein Exemplar seines Buches bei Scalferone abholen konnte. Der Alte sah ihm nachdenklich nach, als Giordano die Handwerkergasse rasch wieder verließ, stolz das Buch unter den Arm geklemmt. Am liebsten hätte er es jedem, der ihm entgegenkam, unter die Nase gehalten oder dort, wo er mehrere Menschen zusammenstehen sah, begonnen, aus dem Werk vorzutragen. Aber die Menschheit würde noch früh genug viel mehr von ihm hören und lesen. Jetzt war sein nächstes Ziel erst einmal Padua, wo er hoffte, mit einigen Gelehrten einen fruchtbaren Disput beginnen zu können.
Kapitel 14
12. Oktober 1596
„Ich habe nichts zu widerrufen, da es nichts zu widerrufen gibt.“ Nachdem er sich endlich beruhigt hatte, begann Giordano, langsam und mit bedächtigen Worten, zu reden. Beccaria sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen belustigt an.
„Sondern?“, höhnte er mit spitzer Stimme.
„Ich habe lediglich versucht klarzumachen, dass ich in keiner Weise jemals und überhaupt die Allmacht Gottes angezweifelt oder den Papst als seinen Stellvertreter auf Erden in Frage gestellt habe.“
„So, so, und was ist das nun anderes als ein Widerruf deiner ketzerischen Worte, wie du sie über Jahre hinweg verbreitet hast?“
„Ihr missversteht mich.“ Giordano versuchte, seine Wut auf den arroganten Kirchenmann zu unterdrücken. Er hörte eine Stimme. Es war seine eigene, innere. Sein Instinkt, der ihm sagte, was er zu tun hatte. „Lass dich nicht provozieren, rufe dir die Worte deiner Schriften vor Augen, wie du es schon Hunderte Male getan hast.“
„Stets habe ich in meinen Ausführungen Philosophie und Theologie streng getrennt. Denn ich bin Philosoph, und als solcher betrachte ich das Weltgeschehen. Aber dennoch beeinflusst Gott dieses
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