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Nacht des Ketzers

Nacht des Ketzers

Titel: Nacht des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Weinek
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Mitbrüder im Offizium Aufgabe war es, diese göttliche Weltordnung zu verteidigen. Mit allen Mitteln. Ja, es war ihre heilige Pflicht, alle Mittel, die ihnen zur Verfügung standen, einzusetzen. Bellarmin spürte starken Harndrang. Ein erleichtertes Lächeln huschte über sein Gesicht, als er endlich, das Nachthemd geschürzt, in dem kleinen Mauervorsprung stand, in dessen Fußboden eine runde, faustgroße Öffnung ausgespart war, und dem Urin freien Lauf lassen konnte. Da er die Öffnung nicht genau traf, wurden seine Füße wie von einem leichten, feinen Regenschauer benetzt, wie es sie in Rom oft um diese Jahreszeit gab. Der Kardinal war froh, dass das Wasserlassen ihm keine größeren Schwierigkeiten bereitete. Von einigen seiner Mitbrüder hatte er gehört, dass diese besonders nach übermäßigem Alkoholgenuss oft die ganze Nacht lang furchtbare Schmerzen erdulden mussten. Mit dem Nachthemd wischte er sich kurz über die Unterschenkel, nahm die Kerze wieder aus der Halterung in der Nische und ging zurück in sein Schlafgemach. Früher wäre ihm Valerio sogleich entgegengekommen, hätte gefragt, ob der Kardinal noch Wünsche hätte. Früher, als beide noch jünger waren, hatte der Kardinal sich dann manchmal einen Hühnerschenkel oder ein Stück Wurst und Brot aus der Speisekammer bringen lassen, um es mit reichlich Wein hinunterzuspülen.
    Ächzend setzte sich Bellarmin auf die Bettkannte. Horchte in sich hinein. Lächelte zufrieden und löschte die Kerze. Die Gedanken waren verschwunden. Friedlich rollte er sich auf die Seite und schloss die Augen. Auch die Blähungen, die ihn schon während der Sitzung im Inquisitionssaal geplagt hatten und denen er nur verhalten hatte nachgeben können, waren verschwunden. Der Kardinal versank in einen tiefen, traumlosen Schlaf, aus dem er jäh aufgeschreckt wurde. Was war das für ein Geräusch gewesen? Ein Schrei? Vielleicht eine streunende Katze? Oder eine Eule, die sich hoch oben im Gebälk seines Palazzos ein Quartier eingerichtet hatte? Bellarmin richtete sich auf, er schwitzte, und sein Atem ging schwer. Mühsam zündete er die Kerze wieder an und ging barfuß zu einem der großen Fenster, die auf den mit Pinien und Zitronenbäumen bewachsenen Innenhof zeigten. Angestrengt lauschte er. Das Plätschern des kleinen Zierbrunnens war das Einzige, was er ausmachen konnte. Doch halt, da war es wieder. Es klang, als ob …
    Es klang, nun war er sich ganz sicher, wie der langgezogene Schrei eines Menschen, der fürchterliche Schmerzen erfuhr, und dieser Schrei brachte Kardinal Bellarmin auf eine Idee.

Kapitel 16
     
    In den kommenden Monaten zog Giordano Bruno unablässig durch das von der Pest verheerend zugerichtete Oberitalien, immer gefolgt von seinem heimlichen Schatten Guiseppe. Die Landschaft war dürr und von den heißen Sommermonaten wie ausgetrocknet. Schwarze Wiesen und wie mahnende Zeigefinger in die Luft gereckte, verkohlte Baumstämme zeugten von Bränden. In einem Weiler in der Nähe von Padua machte er halt. Er wollte nachdenken, wie er es am besten anstellen konnte, in der Stadt als Gelehrter zu arbeiten. Immer häufiger hatte er das Gefühl, dass ihm jemand folgte. Erst am Mittag hatte er wieder diesen Mönch gesehen, der ihm irgendwie bekannt vorkam. Ob ihm die Inquisition auf die Spur gekommen war und ihn überwachte? Würde sie zuschlagen, wenn er einen Fehler beging? Aber nein, das war sicher nur Zufall – und was sollte so ein kleiner Mönch alleine schon gegen ihn ausrichten? Er fühlte sich frei und stark und verwarf diesen Gedanken sofort wieder.
    Als er endlich durch die Tore Paduas treten durfte, kam ihm ein Ochsengespann entgegen, das eine merkwürdige Fracht trug. Die beiden Männer, die die Ochsen antrieben, waren sehr in Eile. Unheimlich sahen sie aus mit ihren feuchten Tüchern vor Mund und Nase. Wild hieben sie von beiden Seiten auf die Ochsen ein, die die Schläge geduldig ertrugen. Von weitem schon konnte Giordano sehen, dass Menschen vor der Fuhre entsetzt in Häusereingänge oder Seitengassen auswichen. Auch er tat wie die anderen, und als ihn der Wagen passierte, konnte er unter einer großen, mit irgendeiner Flüssigkeit getränkten Plane die Umrisse menschlicher Körper erkennen. Die Gasse war an dieser Stelle so eng, dass er den Atem der keuchenden Tiere spüren konnte. Giordano starrte auf die Plane, da löste sich etwas, das durch die wackeligen Bewegungen des Ochsengespanns wild hin und her schwang. Er presste sich entsetzt in

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