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Nacht des Ketzers

Nacht des Ketzers

Titel: Nacht des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Weinek
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gibt einen ewigen Kreislauf der Seelenmonaden, eine permanente Auf-und-ab-Entwicklung der Seele, die aber doch immer in ihrer Gesamtheit auch eine Einheit darstellt.“ Fast feierlich hatte er die letzten Worte gesprochen, immer wieder unterbrochen von der Notwendigkeit, den mit Blut durchsetzten Speichel zu schlucken.
    Für einen langen Augenblick herrschte vollkommene Stille im Saal. Jedem war die Ungeheuerlichkeit der Behauptungen bewusst. Keiner wagte zu sprechen, bis Beccaria, ohne um Erlaubnis zu fragen, das Wort ergriff.
    „Dann ist für dich ja die Geburt als eine Strafe für die Seelen zu betrachten.“ Der Ordensgeneral merkte, dass Giordano einfach durch ihn hindurchsah. „Da diese ja schon immer existieren und nun in einem Menschen oder vielleicht sogar in einem Baum …“, mit einem verhaltenen Lachen quittierten die Inquisitoren diesen Vergleich, „oder sagen wir, in einer Fliege …“ Das Lachen wurde lauter. Angestachelt durch das Vergnügen, das seine Worte dem Kollegium zu bereiten schienen und immer noch wütend über den Widerruf des Widerrufs, fuhr Beccaria fort: „… oder eines Hasen …“ Manche prusteten nun los und klopften sich auf die Schenkel, der Ordensgeneral strich sich unablässig mit dem Handrücken über den runden Bauch. „… oder gar eines Schweins …“
    Nun kannten einige Offiziumsmitglieder kein Halten mehr. „Eines Schweins …“, riefen sie lauthals brüllend durch den Saal. Giordano stand stumm, den Blick immer noch auf eine Fackel hinter dem Ordensgeneral gerichtet. Wie es seiner Mutter nun wohl ging? Ob sie von seinem Unglück erfahren hatte? Das Herz würde es ihr brechen, wenn sie wüsste, dass ihr geliebter Sohn der Folter ausgesetzt war und ihm nun der Tod durch die Inquisition drohte. Doch was sollte er tun? Wenn er der Wahrheit entsagte, würde dies ebenso seinem Tod gleichkommen. Weggesperrt hinter Klostermauern, müsste er den Rest seines Lebens sich selbst verleugnen. Den ihm so verhassten Götzendienst leisten. Wider besseres Wissen die fromme Heuchelei seiner Mitbrüder unterstützen. Wegsehen, wenn im Kloster Völlerei und Unzucht regierten. Nein, das konnte er nicht und das würde er nicht ertragen. Dann lieber sterben.
    Bellarmin hatte angewidert den Raum verlassen. Das Offizium hatte sich wieder einigermaßen beruhigt.
    „Damit leugnest du die Erbsünde, Bruder Giordano, und damit leugnest du auch, dass Gott der Allmächtige die Sünde vergibt, da du dem Menschen die Fähigkeit zur Buße absprichst.“ Beccaria schaute unentwegt hämisch grinsend in die Runde und überlegte, wie er das Offizium nochmals zu Lachstürmen hinreißen könnte. Ganz gewiss nicht mit dem, was er dem Ketzer nun entgegenschleuderte. „Dann leugnest du auch, dass unser Herr Jesus Christus für die Erlösung der Sünden am Kreuz gestorben ist …“
     

Kapitel 15
    2. Februar 1597
     
    In dieser Nacht tat Bellarmin kein Auge zu. Er war gescheitert. Sein Plan, den Ketzer durch sein Zutun doch noch zur Umkehr zu bewegen, war misslungen. Der Papst war kompromittiert. Da half ihm auch die Genugtuung nichts, dass Beccaria so schnell nicht wieder in die besondere Gunst des Heiligen Vaters kommen würde.
    Er wusste, was das alles für Giordano Bruno bedeuten würde. Der Kardinal nahm einen großen Schluck Wein aus dem silbernen Becher neben seinem Bett. Schon oft hatte ihm der Wein geholfen, seiner Schlaflosigkeit Herr zu werden. Doch dieses Mal war es anders. Der Wein ließ seine Gedanken nur noch verschlungenere Pfade gehen. Was, wenn nur ein Funken Wahrheit in dem steckte, was der Ketzer behauptete? Bellarmin schüttelte heftig den Kopf. „Weg, ihr Gedanken!“, schalt er sich selbst. „Das kann nicht sein! Das darf nicht sein!“
    Wieder nahm er einen kräftigen Schluck Wein. Vielleicht war ja was dran an seinen kosmologischen Theorien. Gab es da nicht in Padua einen Professor, Galilei mit Namen, der Ähnliches behauptete? Der von einem Weltsystem sprach, das nicht die Erde, sondern die Sonne in den Mittelpunkt stellte? Wieder schüttelte er den Kopf, als könne er damit die Gedanken daraus verjagen. Noch ein Schluck Wein. Hatten nicht auch Nikolaus Kopernikus und Johannes Kepler behauptet, Ähnliches herausgefunden zu haben? Nein, nein und abermals nein. Sie irrten allesamt. Sie mussten irren, sonst war das Fundament der heiligen römisch-katholischen Kirche erschüttert. Ja, dann war die göttliche Weltordnung an sich in Frage gestellt, und seine und die seiner

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