Nacht des Ketzers
gäbe.“
Giordano nickte eifrig.
„Aber du musst zugeben, lieber Giordano, dass es ganz ohne Zucht und Ordnung auch nicht abgehen kann.“
Wieder nickte er.
„Ab und zu muss ein verirrtes Schaf einmal die Peitsche spüren, um nicht für alle Zeit vom rechten Weg abzukommen, nicht wahr?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr der Marchese fort: „Wenn ein Schaf aber gar nicht mehr zur Herde passt, muss es geopfert werden.“ Giordano verstand nicht, worauf Caracciolo hinauswollte.
„Nur so können wir unsere Gemeinschaft vor schädlichen Einflüssen von außen, zumal von Rom, schützen, und Rom will uns vernichten, so viel steht fest.“
„Aber wie wollt Ihr Euch schützen?“ Giordano kam nun endlich auch einmal zu Wort. „Ihr habt doch, soweit ich sehen kann, keine Armee, oder?“
„Nein, ganz gewiss nicht. Aber wir haben starke Verbündete. In Frankreich, in England, in den deutschen Ländern, überall schließen sich immer mehr Menschen unserer reformierten Kirche an, und irgendwann werden wir so mächtig sein, dass wir die verlogene katholische Bande zum Teufel jagen werden. Deswegen ist es höchste Zeit, Giordano, dass du dich uns ebenfalls anschließt. So jemanden wie dich brauchen wir.“
Giordano fühlte sich geschmeichelt, trotzdem zögerte er. „Aber wie kann ich einer Religion beitreten, die ich noch gar nicht richtig kennengelernt habe?“
„Lass dir Zeit, Giordano. Morgen , übermorgen, egal wann. Du wirst deinen Weg zu uns finden – und nun geh. Deine Arbeit bei Meister Elsbach beginnt morgen schon um sechs Uhr früh.“
Beschwingt und voller Fragen verließ Giordano das Haus des Marchese. Warum nicht den neuen Glauben annehmen? Dem alten hatte er längst abgeschworen. Zurück nach Italien wollte und konnte er nicht mehr. Er würde sich noch ein paar Tage Zeit lassen, aber innerlich hatte er seine Entscheidung bereits getroffen.
Es war dunkel. In den engen Gassen waren kaum Menschen zu sehen. Der Herbst löste den Sommer mit Riesenschritten ab. Dichter Nebel machte den Rückweg zu Giordanos Unterkunft beschwerlich. Zum Glück verfügte er über einen ausgezeichneten Orientierungssinn. Der Marchese hatte ihm noch einiges an Vorräten für die kommenden Tage und Wochen einpacken lassen, und morgen früh würde er erst einmal seine Arbeit als Schriftsetzer in der Druckerei Elsbach beginnen. Die nächste Vorlesung bei de la Faye würde er wohl erst wieder kommendes Wochenende besuchen können. Bis dahin würde er sich die Zeit mit einem Band von Luthers „De Servo Arbitrio“, den ihm der Marchese ebenfalls mitgegeben hatte, vertreiben.
Kapitel 26
Ein dumpfes Geräusch weckte Guiseppe. Jemand hatte wieder an seinen Verschlag getreten. Er war sofort hellwach. Wie jeden Morgen stieß er mit dem Kopf an einen kleinen Balken direkt über dem Kopfende seines Strohsackes. Die Wanzen hatten sich eine neue Bleibe gesucht, so dass er seinen Verschlag nur noch mit einer fast fünf Zentimeter großen Kreuzspinne teilen musste, was aber den Vorteil hatte, dass sich sonst kein anderes Ungeziefer, insbesondere keine Fliegen, zu ihm verirrten. Er schlüpfte rasch in seine Kleider und ging in die Küche, wo ihn die zahnlose Magd bereits erwartete.
„Na, auch schon wach?“, grunzte sie ihm entgegen. „Der Richter muss seine Frau gestern mal wieder gründlich grün und blau geschlagen haben“, legte sie sofort los. „Der halbe Straßenzug hat es mitbekommen. Meine Nachbarin Angela hat es von ihrer Freundin Genoveva, und die wiederum …“ Die Magd hielt kurz inne, um Luft zu holen. Sie roch nach Schweiß, und das ungewaschene Haar hatte sie auf dem Kopf verknotet. Ihre feisten Wangen glänzten rot im Schein der Kerze. Sie schälte Karotten. Ihre Stimme klang, als sei sie erkältet. Immer, wenn der Rotz seine Flucht aus der Nase antrat, zog sie ihn mit einem lauten Geräusch wieder hoch.
„Aber die Metzte hat es ja nicht anders verdient“, fuhr sie keifend fort. Guiseppe hatte sich zu ihr gesetzt und nun ebenfalls begonnen, das etwas kümmerlich wirkende Gemüse von Schmutz und Schale zu befreien.
„So ein Luder, verdreht unseren Männern den Kopf mit ihren schönen Augen. Das Beste wäre, der Richter würde sie Tag und Nacht wegsperren, das Miststück.“
„Sind sie denn schon lange verheiratet?“
„Nein. Das ist es ja. Sie ist aus Italien geflohen. Gott weiß, warum. Wahrscheinlich hat sie sich dort schon an die Männer ehrbarer Frauen herangemacht und ist verjagt worden. Weiß
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