Nacht des Ketzers
des kleinen Guiseppe, der sich rührend um seine Gunst bemüht hatte? Ganz anders hier. Kaum jemand hatte seine Ankunft wahrgenommen, geschweige denn je das Wort an ihn gerichtet. Wie lebende Tote kamen sie ihm vor. Willenlos. Keine eigene Meinung, kein kritisches Hinterfragen. Aber vielleicht gehörte das ja auch zu einem Plan, den er nur noch nicht verstanden hatte.
Am Eingang der Kirchentür stand gütig lächelnd der Marchese Caracciolo. Sein südländisches Aussehen unterschied ihn von den anderen Kirchenbesuchern. Gekleidet in einen einfachen braunen Umhang und Hut, bewegte er den rechten Zeigefinger, als wolle er die Ankömmlinge zählen. Als er Giordano sah, winkte er ihn näher.
„Das freut mich aber besonders, dass du, mein lieber Bruder im Geiste, den Weg hierher gefunden hast. Tritt ein und erfreu dich mit uns an der selig machenden Botschaft unserer reformierten Kirche.“ Der Marchese verbeugte sich fast untertänig, was Giordano sehr unangenehm, ja geradezu peinlich war. Er merkte allerdings rasch, dass die anderen davon keine Notiz nahmen, sondern wie in vorherbestimmten Bahnen ihren Weg in die Bankreihen der Kirche fanden. Immer noch verdutzt ob des Empfangs, folgte er ihnen und suchte sich einen Platz etwa zwei Meter von Guiseppe entfernt, der sich ebenfalls zum Gottesdienst eingefunden hatte. Noch einmal musste Giordano an den Mitbruder denken, nicht ahnend, dass dieser nur knapp von ihm entfernt saß. Er war klug, das hatte er bald bemerkt. Ein wenig zu unerfahren, noch nicht reif genug. Deshalb hatte er ihm einige Lektionen erteilt. Vor allem vor den anderen Mitbrüdern. Er wusste, dass dies oft viel eindringlicher war, als hätte er ihn im Zwiegespräch ermahnt. Aber hatte er ihn nicht manchmal zu hart angefasst? Vielleicht hätte er das nicht tun sollen? Der liebe Kerl wollte doch nur seine Freundschaft, und er hatte sein Gefühle zertreten und sie ihm vor die Füße geworfen. Er bereute zutiefst und wünschte sich den Freund nun hier an seiner Seite.
Die Predigt hatte begonnen. Der Marchese und zwei seiner Begleiter schritten links, rechts und in der Mitte kontrollierend die Bankreihen ab. In der niedrigen Kirche war schlechte Luft. Sie mochte etwa zweihundert Gläubige fassen. Die Predigt mutete ihn eigenartig an. Maßregeln und Vorschriften. Keine Freude, kein Mitgefühl. Der Gedanke an Guiseppe war verflogen, der an de la Faye und seine Vorlesung noch nicht.
***
Befriedigt hatte Caracciolo das Erscheinen Giordano Brunos registriert. Er konnte sich ihn gut als wertvolles künftiges Mitglied der Gemeinde vorstellen. Vielleicht sogar des Konsistoriums, doch das würde noch ein hartes Stück Arbeit bedeuten.
„Marchese, mein hochverehrter Marchese, Ihr ahnt gar nicht, was mir heute alles widerfahren ist.“
Giordano war nach dem Gottesdienst atemlos in das Haus Caracciolos gestürzt. Er wollte ihm von der Vorlesung, aber auch von der ihn seltsam anmutenden Predigt berichten. Der Marchese, eher kleinwüchsig und ohne jeglichen Haarwuchs, betrachtete ihn geduldig, die Arme vor dem spitz unter seinem Wams hervortretenden Bauch verschränkt. Es war, als glühten Giordanos Backen, ohnedies immer noch von der vielen Sonne der langen Wanderung gebräunt. Er wusste gar nicht, wo er beginnen sollte.
„Was habt ihr Calvinisten doch für einen eigensinnigen Humor.“ Caracciolo sah ihn fragend an. Seine Stirn warf tiefe Falten. Der Herbst war bereits in die Stadt gezogen. Der See war immer öfter für dichten Nebel, der sich über die ganze Stadt legte, verantwortlich. Giordano hätte fast das Haus des Marchese nicht gefunden. Er wirkte trotz der Erfahrungen des zurückliegenden Tages gelöst und heiter. Bestimmt würde Caracciolo gleich alles auflösen, ihm sagen, dass das alles nur ein Spiel war, das die Calvinisten erfunden hatten und das sie ab und zu spielten, wie, um sich daran zu erinnern, wie verkorkst das alte Kirchensystem, dem sie nun endlich entronnen waren, eigentlich war.
Caracciolo hatte Wasser und einen kleinen Tonkrug bringen lassen. Amüsiert hatte er Giordanos Aufgeregtheit zur Kenntnis genommen und fand, es sei nun an der Zeit, den Dominikanermönch zum Calvinisten zu machen. Er ahnte, dass diese Aufgabe nicht leicht war, aber jemanden, der so mit Feuereifer bei der Sache war, konnten sie nur allzu gut in ihren Reihen gebrauchen.
„Natürlich haben wir Sinn für Humor. Den hatte auch schon unser großer, ehrwürdiger Calvin, ohne den es das alles hier gar nicht
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