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Nacht des Ketzers

Nacht des Ketzers

Titel: Nacht des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Weinek
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dünne Strahlen von Blut seine Beine entlang. Seine lange, dürre Gestalt glich der eines Vogels. Seine spitze Nase, die krummen Beine verliehen ihm das Aussehen eines Kranichs oder Storchs.
    Doch wie stand es um die Ketzer, an wen dachten sie außer an sich selbst, wenn sie versuchten, ihre wirren Ideen in den Köpfen schwacher, im Glauben nicht gefestigter Menschen zu verankern? Galt ihnen nicht sein ganzer Abscheu? Ichsüchtige Teufel oder von diesem Besessene, das waren sie, und mit jedem dieser Teufel weniger konnten Hunderte, wenn nicht sogar Tausende verirrter Schafe gerettet werden. Della Mirandola hatte sein Ordensgewand abgelegt und stand nun nackt in seiner spartanisch eingerichteten Kammer. Außer einem Bett, halb versteckt in einem Alkoven, einem Schreibpult und einem Waschtisch befand sich nichts in diesem Raum, sah man einmal von der Vielzahl der Marienbildnisse und dem Holzkruzifix an den Wänden ab. Besonders stolz war er auf eine schwarze Madonna, eine Ikone, die ihm ein russischer Pilger vor langer Zeit geschenkt hatte. Ihr wandte er sich nun zu, während er sich mit einer Ledergeißel den Rücken blutig schlug.

Kapitel 29
     
    Am nächsten Morgen fand sich Giordano zitternd vor Kälte beim Buchdrucker Elsbach ein. Der Herbst war da und mit ihm feuchtkalte Luft, die erst tagsüber vom großen See, der noch die Wärme des Sommers gespeichert hielt, vertrieben wurde. Der Meister persönlich wies ihn in seine Arbeit ein, musste aber sogleich anerkennend feststellen, dass er es mit einem besonders schlauen Bürschchen zu tun hatte. Die Druckvorlagen bestanden aus etwa zwanzig mal fünfundzwanzig Zentimeter großen Setzkästen. Giordanos Aufgabe war es, die Wörter auf ihre orthographische Richtigkeit zu kontrollieren. Die Texte waren eher einfältiger Natur, so empfand er dies jedenfalls. Der Raum, in dem er arbeitete, bot kaum Licht. Er ertastete die Buchstaben mehr, als dass er sie las, und spürte dabei, dass er nicht alleine war. Ab und zu hörte er ein Klappern oder ein Räuspern. Die arme Witwe. Er hatte geträumt von ihr. Das nussfarbene Haar hatte im Wind geweht. Sie hatte in ihrem weißen Kleid auf einem Felsen gestanden, umbrandet von der Gischt, den Blick starr Richtung Meer gewandt. Nichts hatte sie erschüttern können. Giordano erschauerte. Er musste an die Umarmung denken, die so ganz anders gewesen war als die Umarmungen der Mitbrüder oder seiner Mutter. Fast wäre ihm ein ganzer Satz aus dem Kasten gefallen. Mit letzter Kraft konnte er ein Unglück verhindern. Ein neuer Satz hätte mindestens einen halben Tag gebraucht, wenn ihn Meister Elsbach nicht ohnedies davongejagt hätte. Nach etwa zweistündiger Arbeit gab es eine kurze Pause, in der sich die Schriftsetzer, aber auch die Korrektoren am Brunnen im Innenhof des Gebäudes laben konnten. Die Witwe hatte Giordano etwas Brot und Käse eingepackt. Alleine in einer Ecke des Hofes aß er davon und beobachtete Schwalben, die sich auf ihre große Reise vorbereiteten. Wehmütig sah er ihnen zu, neidete ihnen die Freiheit, dahin zu fliegen, wo auch immer sie hin wollten. Was hatte sie gesagt, wie hatte ihr Mann noch gleich geheißen? Alfonse. Richtig. Er hatte zu viel über das Konsistorium gewusst und hatte deshalb sterben müssen? Das reimte sie sich zusammen. Der Marchese, ein Verschwörer? Niemals ... und dieser Richter de Leveré? Ach, Hirngespinste. Die arme Frau war verwirrt ob des Verlustes ihres Mannes. Das war doch nur allzu verständlich. Er würde Caracciolo bitten, sich um die Witwe zu kümmern. Vermutlich hatte sie niemanden, mit dem sie reden konnte, und deshalb hatte sie ihm ihr Herz ausgeschüttet und dabei merklich übertrieben. Natürlich würde er nichts von dem Wein und von den Verdächtigungen gegen das Konsistorium erzählen. Am Wochenende, gleich nach der Messe und der anschließenden Predigt, würde er zu ihm gehen, ihm davon erzählen und ihn auch davon in Kenntnis setzen, dass er zu ihrer Religion übertreten wolle.
     
    ***
     
    Guiseppe machte sich, nachdem er das Geschirr notdürftig mit kaltem Wasser gereinigt hatte, auf den Weg zum Haus des Richters de Leveré. Er hatte für wenig Geld einen langen, braunen Mantel erworben, der ihm nun gute Dienste erwies. Zweimal verlief er sich in den engen, nur spärlich von Laternen erhellten Gassen. Nur ab und zu kam ihm eine Gestalt aus der Nebelwand entgegen. Da war es, das Haus des Richters. Ein imposanter, zweigeschossiger Bau. Im obersten Stockwerk waren die

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