Nacht des Ketzers
geheimnisvolle Wesen war in unerreichbare Ferne gerückt. Schweigend schälte er weiter. Doch was war nur mit ihm geschehen? Hätte er nicht schon längst aufbrechen und nach Neapel zurückkehren sollen? Giordano war ins Lager der Verräter am Glauben übergewechselt, so viel stand fest, und hier in Genf entzog er sich der gerechten Verfolgung durch die Inquisition. Es gab für Guiseppe nichts mehr zu tun, und die verwirrenden Gedanken um die Frau des Richters mussten so bald als möglich aus seinem Kopf verschwinden. Doch das gelang nur hinter den dicken Mauern des Klosters.
„Wer sich in unsere Gemeinschaft nicht einfügt, der hat hier nichts verloren“, nahm die Magd den Faden wieder auf, „und wer sich nicht an unsere Gesetze hält, gehört bestraft. Ohne Wenn und Aber. So wie es unser großer Calvin bestimmt hat. Man sagt“, verschwörerisch senkte sie die Stimme, „dass es Katholiken in der Stadt gibt, die heimlich Messen feiern. Die sollte man erwischen und ihnen den Garaus machen.“
Guiseppe hob interessiert die Brauen.
„Das Konsistorium hat zwar seine Augen und Ohren überall, aber oftmals gelingt es Unbelehrbaren doch, ihre alten Rituale zu feiern.“
Der Korb mit den Maiskolben war nun fast zu Gänze geschält. Die Magd schickte sich an, die Schalen hinter das Haus zu tragen.
„Auf den Scheiterhaufen gehören sie, allesamt“, murmelte sie beim Hinausgehen.
Kapitel 25
Giordano hatte von den Geschehnissen vor den Stadttoren nichts mitbekommen. Gemeinsam mit den anderen Studenten lauschte er dem Vortrag Professor de la Fayes. Mit einem leichten Kribbeln in der Magengegend erwartete er gespannt die vom Professor angekündigten Ausführungen zu Aristoteles. Der Hörsaal fasste etwa fünfzig Personen. Der Vortragende stand an einem aus dunklem Holz gefertigten Pult, auf dem seine Skripten lagen. Hohe, schmale Fenster an den Seiten sorgten für genügend Licht. Er trug einen schlichten, schwarzen Umhang mit weißem Kragen. Sein Bart reichte fast bis auf die breite Brust. Auf dem Kopf trug er eine eigenwillige, ebenfalls schwarze Kappe. Sein Blick und seine Stimme vermittelten etwas Gemütliches, Freundliches. Der Professor war ungewöhnlich groß. Ein harmloser Riese also? Giordano war anfangs ebenfalls von dem augenscheinlich warmherzigen Äußeren des Gelehrten eingenommen gewesen. Doch je länger er dessen Worten lauschte, desto deutlicher wurde ihm, dass alles nur Fassade war, dass dahinter eine Person steckte, die Fragen im Keim erstickte, keinen Widerspruch duldete. Als hätte er ein zweites Gesicht, reagierte er teils herablassend, teils unwirsch auf kritische Vorhaltungen, die allerdings ohnedies fast ausschließlich von seinem neuen Studenten kamen. Manchmal versuchte er, ihn vor versammeltem Hörsaal bloßzustellen, der Lächerlichkeit preiszugeben, nicht ahnend, dass er damit bei ihm auf erbitterten Widerstand stoßen würde – und erst seine Ausführungen: irritierend, wähnte Giordano sich doch in der Hochburg der Reformation. Doch was hier stattfand, war eher Deformation. Nicht ungeduldig sein. Zu Ende vortragen lassen. Die Kommilitonen notierten eifrig mit. Nein, nein, das war doch sicherlich Ironie. Das konnte doch keinesfalls ernst gemeint sein – und er, Giordano, war darauf hineingefallen. Er schalt sich in Gedanken einen dummen Esel. Hier wurden doch nicht wirklich aristotelische Philosophie und Naturwissenschaft vorgetragen? Er beschloss, sich das alles in Ruhe anzuhören, bis er den Sinn dahinter verstand. Vielleicht mussten die Studenten erst in die verworrenen Gedankenwelten des griechischen Philosophen eingeführt werden, und sicher würde de la Faye diese in einer seiner nächsten Vorlesungen gnadenlos zerfetzen, als hirnlosen Tand abtun und die wahre reformierte Theologie zu Gehör bringen. Nahe Glocken läuteten. Die Studenten packten ihre Sachen und eilten zum Gottesdienst, Giordano ihnen hinterher, neugierig, warum alle so zielstrebig in Richtung einer nahen Kirche eilten. Ihn überraschte, dass auch in den Pausen und erst recht nach der Vorlesung auf dem Weg niemand das Gespräch suchte, ja, alle so taten, als kennten sie sich gar nicht, als wären sie sich heute allesamt zum ersten Mal begegnet. Er erinnerte sich an seine Ankunft in Neapel, wo ihn seine zukünftigen Mitbrüder herzlich willkommen geheißen hatten. Wehmut beschlich ihn. Warum war er so grob, so ungeduldig mit ihnen gewesen, hatte sie brüskiert, ihre Zuneigung zurückgewiesen, besonders die
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