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Nacht des Ketzers

Nacht des Ketzers

Titel: Nacht des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Weinek
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sehr verehrter Giordano, unser hochehrwürdiges Konsistorium und sein Gründer, der ehrwürdige Jean Calvin, haben beschlossen, dass es für den rechtgläubigen Menschen nicht gut wäre, sich hier auf Erden allzu sehr dem Amüsement hinzugeben.“
    „Ich fürchte, ich verstehe immer noch nicht.“ Hungrig löffelte er den Brei und nahm einen tiefen Schluck aus dem Becher. Der Wein schmeckte sauer, so dass er kurz das Gesicht verzog. Madame Lamaré bemerkte dies und stellte ihm rasch eine kleine Dose mit Zucker hin. Dankbar süßte er den Wein.
    „Nun, man hat verboten, Komödien aufzuführen. Auch Tanzveranstaltungen, überhaupt jegliche Art öffentlicher Unterhaltung sind untersagt. Auch sieht man es nicht gern, wenn sich die Stadtbewohner hinter geschlossenen Fensterbalken irgendwelchen Vergnügungen hingeben. Ganz kann man das natürlich nicht unterbinden.“ Bei diesen Worten kicherte sie etwas albern. „Wein ist auch so ein Vergnügen. Der da ist noch von meinem Mann, Gott hab ihn selig.“ Ein Schatten von Traurigkeit huschte über ihr Gesicht. „Mein seliger Alfonse hat gerne gelebt und hat auch gerne einmal getrunken. Nie zu viel“, fügte sie rasch hinzu. „Aber eben doch gerne, und irgendwann einmal haben sie ihn draußen gefunden. Im Wald. Erschlagen. Von vagabundierenden Räubern, haben sie mir gesagt.“ Tränen füllten ihre Augen. Verschämt wischte sie sie weg. „Aber das waren keine Räuber.“
    Giordano blickte sie fragend an.
    „Nein, er hat dem Konsistorium nicht gepasst. Viel zu beliebt war er bei den Bürgern. Hatte für alle ein Ohr, für jeden Stand die Tür offen. Man hatte sogar gemunkelt, dass sie ihn zum Bürgermeister wählen wollten.“
    „Aber deswegen bringt man doch niemanden um“, wollte Giordano einwenden, doch die Witwe fuhr fort: „Besonders dem Marchese Caracciolo und dem Richter de Leveré war er ein Dorn im Auge. Sie hatten ihn wegen eines fadenscheinigen Vorwandes aus dem Konsistorium ausgeschlossen. Mangelnde Glaubenstreue hatten sie ihm vorgeworfen, dabei ließ mein seliger Alfonse keine Predigt aus, organisierte Buß- und Bettreffen.“
    Madame Lamaré hatte sich nun ebenfalls einen Becher genommen und trank in großen, kräftigen Schlucken.
    „Nein, das war nur ein Vorwand. Er war ihnen zu gefährlich geworden. Er wusste zu viel über sie.“ Die Tränen übermannten sie, und der Wein verhalf ihnen zu einer ungehemmten Flut über Wangen und Lippen. Giordano nahm die Frau ungelenk in seine Arme und streichelte ihr schließlich sanft über das Haar. Wann hatte er das jemals gemacht? Verschämt stellte er fest, dass er ihre Brüste spürte. Später, als er in seiner Kammer auf dem Bett lag, kamen ihm ihre Worte wieder in den Sinn. „Er wusste zu viel über sie!“

Kapitel 28
    1. November 1597
     
    Paul Isario della Mirandola war ein ruhiger, besonnener Mensch. Tief im Glauben an die römisch-katholische Kirche verwurzelt, lebte er streng nach den kanonischen Gesetzen des Vatikans. Das Weltliche interessierte ihn nicht, ja er ließ es erst gar nicht an sich heran. Nicht wie manche seiner Mitbrüder, die ihr hohes Amt dazu nutzten, sich allerlei Vorteile zu verschaffen. Solch Denken war ihm fremd, und er wusste auch, dass es manchmal notwendig war, Dinge zu tun, die sehr viel Selbstdisziplin von einem verlangten. Natürlich war die Folter etwas Grausames, das wussten sie alle. Aber gerade deswegen war sie so heilsam und hatte schon so manchem Verirrten geholfen, den Weg zum sicheren Tod in letzter Sekunde zu verlassen, und was noch viel wichtiger war, viele schreckte sie ab, überhaupt nur auf ketzerische Gedanken zu kommen. Es war ihm und seinen Mitbrüdern also hoch anzurechnen, dass sie angesichts dieses Grauens nicht wankten und charakterfest geblieben waren. Nicht viele waren dazu auserkoren, so einen schweren Dienst zu tun, und ganz geheim, tief drinnen in ihm, wünschte er sich, ebenfalls nicht zu diesen Auserkorenen zu gehören. Doch halt! Schluss jetzt mit solchen Gedanken. Für ihn gab es kein Zurück. Was hieß hier überhaupt zurück? Stolz durfte er sein. Jawohl, stolz, dass er an vorderster Front der Mutter Kirche in diesem schweren Amt dienen durfte. Was hatten die alten Kirchenväter nur um des Glaubens willen gelitten! Was war denn er dagegen? Ein kleiner erbärmlicher Wicht, der sich seinen Gefühlen hingab und schwach zu werden drohte. Della Mirandola stöhnte kurz auf, als er sich das Dornenband um seinen Oberschenkel streifte. Sofort flossen

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