Nacht des Ketzers
begangen zu haben, verließ er das Haus des Marchese.
***
Die Arbeit in der Buchdruckerei war eintönig. Giordano fand keinen Anschluss an seine Kollegen, man konnte aber auch nicht sagen, dass er sich in irgendeiner Form darum bemühte. Vielmehr bereitete er sich auf die kommende Vorlesung Professor da la Fayes vor. Er hatte aus seinen Aufzeichnungen Fragen zur Vorlesung formuliert und freute sich darauf, mit dem Vortragenden in einen fruchtbaren Disput eintreten zu können. Er war sich sicher, dass de la Faye das auch von ihm erwartete, ja, dass er die Studenten einfach nur hatte provozieren wollen, in der Hoffnung, dass sie sich intensiv mit dem aristotelischen Weltbild auseinandersetzten und man gemeinsam zu einem interessanten Ergebnis gelangte. Ungeduldig klopfte Giordano mit den Fingern auf das Pult vor ihm. Ein Gewitter zog auf, angekündigt durch heftige Windstöße. Würdevoll betrat der Professor den Hörsaal. Er lächelte in die Runde, strich sich über den Bart, aber Giordano war es, als blicke er einfach durch sie hindurch. Wahrscheinlich wieder so ein rhetorischer Trick. Mit getragener Stimme begann der Professor die Vorlesung. Wieder diese albernen Thesen vom geschlossenen System des Weltalls. Giordano schmunzelte. Großartig, wie de la Faye die Studenten herausforderte. Er konnte es kaum erwarten, bis er sich endlich zu Wort melden durfte. Eine Stunde verging, ohne dass der Vortragende seine Rede unterbrach. In der etwa zehnminütigen Pause mischte Giordano sich unter die Studierenden. Blitze zuckten, gefolgt von lang anhaltendem Donnern. Die Gespräche drehten sich um alles Mögliche, nur nicht um das eben Gehörte. Insektenschwärme bevölkerten den Wandelgang des Innenhofes der Universität. Eine Büste ihres Gründers Jean Calvin bildete das Zentrum. Der gestrenge Blick des großen Reformators zeugte von Unnachgiebigkeit und Entschlossenheit. Ja, unnachgiebig und entschlossen musste man ans Werk gehen, wollte man der verkommenen, dekadenten römisch-katholischen Kirche Herr werden. Das bedeutete aber auch Opfer. Opfer verlangen, Opfer erbringen – und dazu war er bereit. Das Konsistorium hatte den Übertritt Giordanos in seine Glaubensgemeinschaft einstimmig gebilligt, zumal sein Fürsprecher, der Marchese Caracciolo, ihn in höchsten Tönen als wertvolles zukünftiges Mitglied der Gemeinde gepriesen hatte.
Ein helles Läuten kündigte den Fortgang der Vorlesung an. Wieder redete de la Faye ohne Unterbrechung. Ab und an versuchte Giordano, der immer ungeduldiger wurde, sich durch Handzeichen bemerkbar zu machen, doch der Professor ignorierte ihn. Was war hier nur los? Enttäuscht nahm er das Ende der Vorlesung zur Kenntnis. Eiligen Schrittes verließ der Professor den Hörsaal. Giordano folgte ihm, bis zu einer kleinen Tür, als er die Klinke drückte, stellte er irritiert fest, dass diese bereits verschlossen war. Floh der Professor etwa vor ihm? Er hatte doch erst kürzlich im Konsistorium für seine Aufnahme gestimmt. Er musste doch wissen, dass er ein Freund der Calvinisten war. Warum dann dieses Versteckspiel? Warum ließ er ihn in der Vorlesung nicht zu Wort kommen? Giordanos Gedanken zogen wilde Schleifen. Zu Hause angekommen, begann er mit der Niederschrift der seiner Meinung nach falschen Thesen des Professors und seiner Gegenargumente dazu.
Kapitel 30
Guiseppe stand fast jeden Abend in der Toreinfahrt gegenüber dem Haus der Leverés. Längst dachte er nicht mehr daran, dass er eigentlich ins Kloster zurückkehren sollte. Der Gedanke an Anna ließ ihn nicht mehr los. Langsam, ohne dass es ihm bewusst wurde, hatte er sich verändert. Das Seelenheil aller Gläubigen stand nicht mehr ausschließlich im Vordergrund. Es gab da noch etwas anderes, das von seinem Geist Besitz nahm, ihn vergessen ließ, dass er Mönch war und ganz und gar seinem Herrn Jesus Christus, dem Prior und der heiligen katholischen Kirche verpflichtet war.
Es war ihm bisher nichts Besonderes aufgefallen, jedenfalls nichts von dem, was ihm die Magd erzählt hatte. Er war schon kurz davor, in seine Unterkunft zurückzukehren, da hörte er einen schrillen, markerschütternden Schrei. Gleich darauf flog die Tür des Hauses des Richters auf, und Anna stürzte nur mit einem Rock bekleidet aus dem Haus. Entsetzen war ihr ins Gesicht geschrieben. Hastig sah sie nach links und rechts, drehte sich noch einmal um und lief dann nur einen Atemhauch entfernt von Guiseppe die Straße entlang. Einen kurzen Augenblick
Weitere Kostenlose Bücher