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Nacht des Ketzers

Nacht des Ketzers

Titel: Nacht des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Weinek
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später folgte ihr eine dunkle Gestalt. Ohne Zweifel, es war der Richter. Annas Rücken zeigte roten Striemen, als wäre sie ausgepeitscht worden. Wieder hörte er sie schreien. De Leveré zerrte seine Frau an den Haaren zum Haus zurück. Anna versuchte nach Kräften, sich zu wehren, doch die Hand des Richters ließ nicht locker. Für einen Augenblick sah es aus, als würde seiner Frau doch noch die Flucht gelingen. Verdutzt starrte de Leveré auf das Haarbüschel, das er Anna ausgerissen hatte. Sofort stürzte er ihr wieder nach, packte sie und versetzte ihr einen heftigen Schlag ins Gesicht, so dass Blut aus ihrer Nase schoss. Nun stieß er sie vor sich her und verpasste ihr an der Eingangstür einen so heftigen Tritt, dass sie förmlich ins Haus flog. Der Mönch war wie gelähmt. Unfähig, sich zu rühren und der Unglückseligen zu Hilfe zu eilen. Er zitterte am ganzen Leib. Trotz der Kälte bildeten sich Schweißtropfen auf seiner Stirn. Was sollte er nur tun? In das Haus gehen und den Richter zur Rede stellen? Gar die Frau befreien? Nein, das konnte er nicht tun. Auch wusste er, dass der Richter Wachen und Hausbedienstete unterhielt. Wahrscheinlich würde er ihn sofort festnehmen und vielleicht sogar mit irgendeiner Begründung einsperren oder, schlimmer noch, hinrichten lassen. Insgeheim schalt er sich einen Feigling. Die arme Frau. Aber andererseits, was ging ihn das an? Wer weiß, was die Frau getan hatte? Wer war er, sich anzumaßen, ein Urteil zu fällen? Immerhin war ihr Mann der höchste Richter der Stadt. Ein Mann der Gerechtigkeit. Einer, der täglich Recht sprach, ja schon aufgrund seines Amtes immer recht hatte, und da wollte er, der kleine Mönch, sich aufspielen? Zweifelnd und mit sich hadernd verließ er sein Versteck.
     
    ***
     
    Giordano hatte einen Entschluss gefasst. Er würde die Irrtümer des Professors als Streitschrift herausbringen und ihn so aus der Reserve zu locken versuchen. Ob er den Marchese in seinen Plan einweihen sollte? Nein. Er war zu zornig. Zornig darüber, dass der Disput mit dem Professor missglückt war, aber auch zornig, weil dieser sich offensichtlich nicht mit ihm auseinandersetzen wollte. Eine Streitschrift würde das ändern, dann musste de la Faye reagieren. Vielleicht ging seine Taktik ja sogar so weit, diese Streitschrift als Teil der Auseinandersetzung zu fordern.
    Nachdem die Schrift angefertigt war, machte Giordano sich auf die Suche nach einer geeigneten Druckerei. Meister Elsbach hatte sich schon bei der bloßen Erwähnung des Namens de la Faye geweigert, den Auftrag anzunehmen. Nicht viel besser erging es ihm bei den anderen Buchdruckern der Stadt. Erst bei einem gewissen Jean Bergeon hatte er Glück. Der Buchdrucker achtete nicht auf den Inhalt der Schrift, sondern nur darauf, dass Giordano auch alles im Voraus beglich. Das Geld wurde rasch auf den Tisch gezählt, man war handelseinig. In einer Woche würde er de la Faye das erste Exemplar persönlich überreichen. Giordano war zufrieden. Nicht mehr lange, und er würde den Studenten, aber auch dem Konsistorium seine Theorien vorstellen können. Der Applaus war ihm sicher, dachte Giordano. Vielleicht würde man ihm dann endlich die so heiß ersehnte Professur gewähren. Professor an der Universität Genf. Das wäre wohl der größte Erfolg seines bisherigen Lebens. Wehmut überfiel ihn jäh. Seine Mutter würde nie etwas davon erfahren. Zurück nach Italien würde er höchstwahrscheinlich nie mehr können, und von den vielen Exil-Italienern, die hier in Genf lebten, war auch nicht zu erwarten, dass sie für ihn eine Nachricht nach Nola bringen würden. Er war traurig, den schon fast sicheren Erfolg nicht mit den liebsten Menschen, die er hatte, teilen zu können. Da fiel ihm die Witwe ein. Sie war in letzter Zeit sehr ruhig geworden, hatte kaum mit ihm gesprochen. Giordano hatte das Gefühl, dass ihr der Inhalt ihres letzten Gesprächs und der Wein unangenehm waren. Er selbst wollte auch nicht mehr daran anknüpfen und war insgeheim auch froh darüber, von Caracciolo diesbezüglich nichts mehr gehört zu haben. Vermutlich hatte sich alles in Wohlgefallen aufgelöst, und er war erleichtert darüber, dass seine kleine Indiskretion dem Marchese gegenüber keine weiteren Folgen mehr nach sich zog.
    Die Woche verging sehr langsam. Tagsüber gab der See zwar noch gespeicherte Wärme ab, nachts aber verwandelte er die Gegend ringsum in ein feuchtkaltes Nebelmeer. Das Leben spielte sich immer mehr hinter

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