Nacht des Ketzers
schlug an, als sie das Stadttor passierten, und war noch eine Zeitlang zu hören. Zum Glück hatten ihre Mäntel Kapuzen, so dass der Regen ihnen nicht den Nacken hinunterrinnen konnte. Es hatte stark abgekühlt. Gleich hinter der Stadt führte der Weg durch einen Wald. Es war stockfinster. Instinktiv fanden die Pferde sich zurecht.
Erst nach etwa zwei Stunden Ritt wurde es etwas heller. Giordanos Wange war geschwollen, was seinem sonst sehr hageren Gesicht das Aussehen einer Birne verlieh. Im Gegensatz zu seinem Gefährten tat ihm die Kälte gut. Das Ausatmen verursachte kleine, weiße Wölkchen vor ihrem Mund. Die Temperatur sank, je weiter nördlich sie kamen. Ab und zu, wenn die aufreißende Wolkendecke es zuließ, waren schneebedeckte Berge zu sehen. Das Hufklappern wurde durch einen dichten Laubteppich gedämpft. Krähen kreisten über den kahlen Baumkronen.
Guiseppe war allmählich wieder zu sich gekommen. Vom Alkohol war ihm noch etwas schwindlig. Verkrampft hielt er sich an seinem Sattelknauf fest. Erinnerungsfetzen ihres Gesprächs in der vergangenen Nacht wehten durch seinen Kopf wie die tiefhängenden Regenwolken über ihnen. Was hatte Giordano gesagt? Er solle sich Anna aus dem Kopf schlagen. Er solle mit ihm kommen. Schöne Frauen gäbe es überall. Hatten sie darüber heftig gestritten? Er konnte sich nicht mehr erinnern. Anna aus dem Kopf schlagen? Mit ihm an der Universität arbeiten? Studieren? Forschen zum Wohle der Menschheit ... und überhaupt sei er ein kleines Mönchlein und habe sich von den Weibern fernzuhalten. Hatte er nach diesen Worten auf den Älteren losgehen wollen, oder hatte er das alles nur geträumt? Mönchlein? Nein, das war er schon lange nicht mehr, und zurück ins Kloster wollte er erst recht nicht. Anna? Warum er sich so sicher sei, dass sie die Strafe ihres Mannes nicht verdient hatte? Vielleicht habe sie ihn sogar hintergangen? Warum er, Guiseppe, so überzeugt davon sei, dass die junge Frau die Unschuld in Person sei? Ja genau, das hatte ihn in Rage versetzt. Gewissensbisse plagten ihn. Hatte er sich gegenüber Giordano ungebührlich benommen? Er schämte sich, ihn darauf anzusprechen. Er fühlte sich elend. Das Schaukeln des Pferderückens ließ Übelkeit in ihm aufsteigen. Die Kopfschmerzen, die ihn seit ihrer Abreise begleiteten, waren ebenfalls stärker geworden.
„Gior…“ Er würgte, schluckte, konnte es nicht mehr zurückhalten. Giordano ritt etwa zehn Meter vor ihm und sah nicht, wie sein Gefährte den Inhalt seines Magens in einem breiten Strahl auf den Waldboden erbrach. Der unangenehme, säuerliche Geschmack ließ sich auch mit einem Schluck Wasser aus seinem Beutel nicht vertreiben. Reiter und Pferde hatten nun bessere Sicht, so dass sie das Tempo erhöhen konnten. Der Ältere schien nichts bemerkt zu haben. Oder er hatte Mitleid mit Guiseppe und ließ sich nichts anmerken. Erst nach einer weiteren Stunde hielt er für eine kurze Rast an.
Kapitel 48
Elisabeth stöhnte kurz auf, als ihre Kammerzofe das Mieder festzurrte. Ihr flacher Bauch war gut verschnürt, die Brüste wurden durch das Mieder nach oben gedrückt. Zufrieden betrachtete sie sich im Spiegel. Der Teint blass, fast weiß von Puder. Die Haare hochgesteckt. Dicht waren sie wieder gewachsen. Es war noch gar nicht lange her, da waren sie ihr büschelweise ausgefallen. Ihre Ärzte konnten sich das nicht erklären. Fast kreisrunde, kahle Stellen hatten ihr Haupt verunziert, so dass sie ständig irgendeine Kopfbedeckung tragen musste. Das hätte noch gefehlt, dass die Königin an einer sonderbaren Krankheit litt. Wie Hyänen hätten sich alle auf sie gestürzt. Nicht einmal ihre engsten Vertrauten hätten sie zu retten vermocht. Elisabeth schluckte. Unmengen von Speichel sammelten sich plötzlich in ihrem Mund. Sie schluckte wieder. Wirre Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Ihr Vater zupfte die Laute. Maria Stuart tanzte mit Walsingham. Der Speichel hörte nicht auf zu fließen. Ihr Puls begann zu rasen.
„Majestät?“
Ein Henker strich fast zärtlich über seine Axt. Das Volk schrie. Sie wollte etwas sagen, doch ihre Lippen bewegten sich, und kein Laut drang daraus hervor.
„Majestät? Was ist mit Euch?“
Die spanische Armada. Tausende und Abertausende weiße Segel vor der Küste Englands. Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn, vermischten sich mit dem Puder.
„Majestät?“ Die Stimme ihrer Zofe klang ängstlich. Die Gesichter des Papstes und des spanischen Königs tauchten
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