Nacht des Ketzers
auf. Drohend das eine, lachend das andere. Nun tanzte Maria mit Philip, Walsingham und Drake klatschten den Rhythmus, ihr Vater Heinrich schlug immer noch die Laute dazu. Schwer atmend sank Elisabeth in einen Stuhl. Ihre Zofe fächelte ihr Luft zu.
„Schon gut, Marianne, schon gut“, keuchte sie. Die Bilder verschwammen und verschwanden allmählich ganz.
„Das Mieder!“
Sofort machte sich Marianne daran, die Schnüre des Mieders zu lockern. Ob Raleigh heute kommen würde? England war in großer Gefahr, das wusste sie. Raleigh würde wissen, was zu tun war. Gemeinsam mit ihren Vertrauten würden sie einen Plan aushecken, wie sie ihre Heimat retten konnten. Die Zofe wischte ihr den mit Schweiß vermischten Puder ab, säuberte ihr Gesicht und begann sofort, neuen Puder aufzutragen. Elisabeths Gesichtsausdruck war nun wieder entschlossen wie zuvor. Nein, sie würde nicht aufgeben. Bis zum letzten Atemzug würde sie kämpfen. Niemals das Reich Maria Stuart und den Katholiken überlassen. Niemals.
„Majestät, die Schuhe.“ Umständlich machte die Zofe sich an Elisabeths Füßen zu schaffen. Wie viele Mordanschläge hatte sie bereits überlebt, und wie viele würden noch kommen? Wem konnte sie trauen? Wer war Freund, wer Feind? Der Puls hatte sich ebenfalls wieder beruhigt. Die Königin konnte wieder klare Gedanken fassen. Sie wusste, dass sie sich auf ihren Instinkt verlassen konnte. Das hatte sie von ihrem Vater geerbt. Es war ihr ein Leichtes, Menschen zu durchschauen. Speichellecker, Bücklinge, rückgratlose Gesellen. Das alles tummelte sich an ihrem Hof. Damit konnte sie leben. Zu offensichtlich war ihr Spiel. Leicht zu durchschauen und daher ungefährlich. Die Heimtückischen, Verschlagenen, nicht auf den ersten Blick zu Erkennenden, das waren die Gefährlichen, vor denen sie sich hüten musste, und natürlich die religiösen Fanatiker. Die waren unberechenbar. Jedes Mal, wenn sie mit ihrer Entourage zur Westminster Abbey zog, konnte so ein Verblendeter aus dem sicheren Schutz der am Rande jubelnden Menge auf ihre Kutsche zuspringen und sie vor den Augen aller töten.
Es klopfte. Einer von Elisabeths Kammerdienern steckte den Kopf zur fast zwei Meter hohen Tür herein.
„Majestät, darf ich bitten?“
Geduldig folgte ihm die Königin in den Empfangssaal.
„Majestät, es erbittet seine Aufwartung machen zu dürfen Euer ergebener Untertan, William Shakespeare.“
Kapitel 49
Guiseppe wusste nicht mehr, wie viele Tagesreisen sie nun seit ihrer Flucht aus Toulouse bereits unterwegs waren. Ein leichtes Fieber hatte sich seiner bemächtigt. Giordano, dessen Wange wieder abgeschwollen war, hatte ihnen keine Ruhepause gegönnt. Selbst Schneestürme beim Überqueren von Pässen oder das bedrohliche Heulen naher Wolfsrudel hatte ihn nicht davon abgehalten, die Pferde unermüdlich voranzutreiben. Fast fünf Jahre waren nun vergangen, seit sie aus dem Kloster geflohen waren, und welch abenteuerliche Reise hatten sie bereits hinter sich gebracht! Es schien, als balanciere Giordano stets am Abgrund, und er, Guiseppe, musste ihn davor bewahren abzustürzen. Es gab keine Kompromisse für ihn, und gerade deshalb bewunderte er den Älteren. Doch Guiseppe wusste, dass sein Leben anders verlaufen musste. Er war nicht bereit, für eine fixe Idee ständig sein Leben aufs Spiel zu setzen. Er träumte von etwas ganz anderem.
„Es ist nicht mehr weit.“ Ein Bauer hatte ihren Pferden Stroh aus seinem Stall gegeben und ihnen angeboten, die Nacht in seinem Haus zu verbringen. Seine Kinder, Guiseppe zählte sieben, versuchten, sich hinter den weiten Rockschößen der Bäuerin zu verstecken, was angesichts des ausladenden Hinterteils durchaus erfolgreich gelang. Ab und zu lugte eins hervor, um sogleich wieder zu verschwinden. Alle sieben hatten rotblonde Haare, Sommersprossen und weit auseinanderstehende Vorderzähne, und alle glichen sie aufs Haar ihrem Vater, einem kleinen Mann mit einem draufgängerischen Grinsen im Gesicht und einer ansehnlichen Kugel als Bauch. Die Kinder mochten zwischen zwei und neun Jahren alt sein. Das Jüngste konnte noch nicht richtig laufen. Es schien den Menschen hier nicht schlecht zu gehen. Alle sahen sie wohlgenährt aus. Der süßliche Duft gekochter Milch verdrängte den Geruch von Geräuchertem. Auf einer Holzstange neben dem großen Ofen hingen Würste und eine Seite Speck. Dankbar ließen sich die Reisenden an einem großen, fast quadratischen, klobigen Tisch nieder. Entlang der Wand
Weitere Kostenlose Bücher