Nacht des Ketzers
waren Holzbretter als Sitzbank befestigt. Eine Marienstatue und ein Kruzifix zierten die Ecke. Guiseppe gefielen die Kinder. Als er eines der Kleinen zu fassen bekam und hochhob, spürte er, dass das Stofftuch, das das Kind um seinen Po gewickelt hatte, bereits übervoll war. Erst jetzt nahm er auch den süßlich herben Geruch wahr und ließ das Kind sofort wieder los. Die Bäuerin lachte, als sie dies bemerkte, und schickte die Älteste in die Speisekammer, um Brot, Wurst, Käse und eingelegtes Kraut zu holen. Der Bauer brachte zwischenzeitlich einen Krug mit frischem Wasser aus dem Brunnen vor dem Haus. Mit seinen ungewöhnlich großen Händen trug er den schweren Krug vor sich her. Die Fingernägel waren zum Teil abgebrochen und starrten vor Schmutz. Die Bäuerin hatte Holzteller und Messer aufgetan, und während ihre Gäste hungrig zulangten, baute sich die Familie vor ihnen auf, um ihre Mahlzeit mit wohlwollendem Grinsen zu begleiten. Die Kinder hatten die Scheu verloren, und die frechsten von ihnen krochen nun unter den Tisch, um die beiden zu necken. Giordano schenkte all dem keine Beachtung. Gedankenverloren kaute er an Brot und Wurst. Er wunderte sich kurz über das säuerliche Kraut, das er zum ersten Mal aß, und starrte dann wieder wie geistesabwesend auf die Madonnenstatue neben ihm. Guiseppe gefiel das neckische Treiben der Kinder, und er tat, als fange er eines von ihnen unter dem Tisch, worauf sie laut kreischend davonstoben. Bauer und Bäuerin standen immer noch grinsend da. Die feisten, rötlichen Backen aufgebläht, schienen sie mit sich und der Welt im Reinen. Des Bauers Nase war anzusehen, dass er ab und zu einen Krug Wein zu sich nahm, aber auch die Bäuerin machte den Eindruck, als sei sie dem nicht abgeneigt.
„Gibt es hier in der Gegend Hugenotten?“
Wie ein Blitz fuhr Giordanos Frage in das Idyll. Die Bäuerin erschrak und scheuchte die Kinder aus der Stube. Der Bauer setzte sich rasch an den Tisch und fragte mit Unschuldsmiene: „Wie kommt Ihr denn darauf?“
Giordano ahnte, dass er in ein Wespennest gestochen hatte. Verstohlen sah er Guiseppe an, der sich unbekümmert dem Essen widmete.
„Wir hatten heuer eine sehr gute Ernte.“ Der Bauer versuchte, die Gedanken des Gastes zu zerstreuen.
„Möchte noch jemand Brot?“ Die Bäuerin war zurückgekehrt, nachdem sie den Kindern befohlen hatte, sich nicht mehr aus ihrer Kammer zu rühren. Giordano wusste, dass sie sich auf katholischem Gebiet befanden, doch irgendetwas an den beiden hatte ihn stutzig gemacht. War es die offen zur Schau gestellte Unbekümmertheit? Die Heiligenfiguren?
„Heraus mit der Sprache!“, befahl er unwirsch und befühlte seinen Degen unter dem Mantel, wie um sicher zu sein, dass er sich bei einem Angriff jederzeit verteidigen konnte. Erst jetzt begriff Guiseppe. Der Bauer war bleich wie der Weichkäse, der vor ihnen auf dem Tisch stand. Die Bäuerin begann zu zittern. Ihr Blick wurde glasig. Sie faltete ihre Hände, und man sah es ihr an, dass sie in diesem Augenblick am liebsten laut schreiend davongelaufen wäre.
„Nun?“, fragte Giordano noch einmal herrisch nach. Sein Weggefährte legte ihm besänftigend seine Hand auf den Unterarm. Für einen Augenblick herrschte Totenstille im Raum. Giordano war angespannt und erwartete nach den Erfahrungen der letzten Monate, dass jeden Augenblick die Tür aufging und eine Horde Protestanten hereinstürmte, um ihn und Guiseppe kurzerhand zu ermorden.
Der Bauer blickte stumm zu Boden, dann begann er stotternd zu erzählen: „Verzeiht, Herr, verzeiht! Es ist nun schon über zehn Jahre her …“ Er verstummte wieder. Man sah ihm an, wie die Erinnerung an das Geschehene ihm die Kehle zuschnürte.
„Es hat in den umliegenden Dörfern begonnen. Sie haben uns gewarnt“, fuhr er fort. Seine Frau saß schweigend neben ihm, starrte mit versteinerter Miene ins Leere. Das Zittern war verschwunden.
„Es war im August. Wir waren den ganzen Tag auf den Feldern. Es war sehr heiß. Meine Eltern haben auf die Kinder aufgepasst.“
Bevor Giordano fragen konnte, erklärte er: „Wir hatten damals schon acht Kinder. Das älteste, ein Junge, war gerade neun Jahre alt geworden. Er war der Einzige, der mit uns auf dem Feld arbeitete. Ein Gewitter zog auf. Wir wollten zum Haus zurück. Mein Bruder und seine Frau gingen voraus. Auch sie haben mit ihren sechs Kindern unter unserem Dach gewohnt.“
Der Blick der Bäuerin ruhte auf Giordano, doch sie schien durch ihn
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