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Nacht des Orakels

Nacht des Orakels

Titel: Nacht des Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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wirklich tat, denn plötzlich schmiegte sie sich an mich, schob mir ihre schlanke Hand in die Jeans und packte die Erektion, die dort in den letzten zwei Minuten entstanden war. Als sie fühlte, wie steif ich war, lächelte sie. «Ich glaube, wir können jetzt tanzen», sagte sie. «Du kommst mit, okay?»
    Zu seiner Ehre sei gesagt, dass Chang über dieses traurige kleine Schauspiel männlicher Schwäche nicht lachte. Er hatte Recht behalten, und statt sich hämisch an seinem Triumph zu weiden, zwinkerte er mir nur zu, als ich Martine in ihr Séparée folgte.
    Die ganze Aktion schien nicht mehr Zeit in Anspruch zu nehmen, als es braucht, eine Badewanne zu füllen. Sie zog den Vorhang zu und schnallte mir im selben Atemzug die Hose auf. Dann ging sie in die Knie, legte ihre rechte Hand um meinen Penis, streichelte ihn sachte, stieß ein paar Mal mit der Zunge daran und nahm ihn schließlich in den Mund. Ihr Kopf geriet in Bewegung, und während ich dem Klingeln ihrer Zöpfe lauschte und auf ihren außerordentlichen nackten Rücken hinabschaute, jagte mir ein heißer Schauer durch die Beine in den Unterleib. Ich wollte das Erlebnis ausdehnen und eine Weile genießen, aber das konnte ich nicht. Martines Mund war ein tödliches Werkzeug, undwie ein erregter Teenager kam ich schon nach wenigen Sekunden.
    Fast im selben Augenblick setzte die Reue ein. Und als ich die Jeans wieder hochgezogen und den Gürtel zugeschnallt hatte, waren aus der Reue bereits Scham und schlechtes Gewissen geworden. Ich wollte nur noch fort, so schnell wie möglich. Ich fragte Martine, wie viel ich ihr schuldig sei, aber sie winkte ab und sagte, darum habe sich doch schon mein Freund gekümmert. Als ich mich verabschiedete, gab sie mir einen Kuss, ein entzückendes Küsschen auf die Wange, und dann schob ich den Vorhang auseinander und ging zur Theke, um nach Chang zu sehen. Er war nicht da. Vielleicht war auch er mit einer Frau in einem Séparée verschwunden, um die beruflichen Qualifikationen einer seiner künftigen Angestellten zu testen. Ich hatte keine Lust, so lange dazubleiben und es herauszufinden. Ich ging einmal um die ganze Theke herum, nur um mich zu vergewissern, dass ich ihn nicht übersehen hatte; dann fand ich die Tür zur Kleiderfabrik und machte mich auf den Heimweg.

 
    Am nächsten Morgen, Mittwoch, brachte ich Grace wieder das Frühstück ans Bett. Diesmal wurde nicht von Träumen erzählt, und wir sprachen auch nicht von der Schwangerschaft und ihren diesbezüglichen Plänen. Das Thema lag noch in der Luft, aber nach meinem schmählichen Verhalten am Tag zuvor in Queens war es mir zu peinlich, davon anzufangen. Binnen sechsunddreißig kurzen Stunden war ich vom selbstgerechten Verteidigermoralischer Gewissheiten zu einem erbärmlichen, von Schuldgefühlen geplagten Ehemann geworden.
    Dennoch versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen, und auch wenn Grace an diesem Morgen ungewöhnlich still war, glaube ich nicht, dass sie Verdacht geschöpft hatte. Ich bestand darauf, sie zur Subway zu begleiten, und hielt die ganzen vier Blocks bis zur Station Bergen Street ihre Hand; unterwegs sprachen wir fast nur über Alltägliches: einen Umschlag, den sie gerade für ein Buch über französische Fotografie im neunzehnten Jahrhundert entwarf, das Filmtreatment, das ich am Tag zuvor abgeliefert hatte, das Geld, das ich mir davon erhoffte, und was wir am Abend essen wollten. Kurz vor unserem Ziel jedoch wechselte Grace plötzlich den Tonfall unserer Unterhaltung. Sie packte meine Hand, sehr fest, und sagte: «Wir haben doch Vertrauen zueinander, Sid, ja?»
    «Aber natürlich. Wenn nicht, könnten wir nicht zusammenleben. Das ganze Konzept der Ehe beruht auf Vertrauen.»
    «Menschen können harte Zeiten durchmachen, stimmt’s? Aber das bedeutet nicht, dass am Ende nicht alles wieder gut wird.»
    «Das sind keine harten Zeiten, Grace. Die haben wir bereits hinter uns, und wir sind schon wieder dabei, uns aufzurappeln.»
    «Freut mich, dass du das sagst.»
    «Freut mich, dass es dich freut. Aber warum?»
    «Weil ich das auch so sehe. Egal, was aus dem Baby wird, mit uns wird die Sache gut ausgehen. Wir schaffen das.»
    «Wir haben es schon geschafft. Wir leben in gesicherten Verhältnissen, Kleines, und so wird es auch bleiben.»
    Grace blieb stehen, legte mir eine Hand in den Nacken, zog mein Gesicht zu sich heran und gab mir einen Kuss. «Du bist der Größte, Sidney», sagte sie und küsste mich noch einmal. «Egal, was passiert,

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