Nacht des Schicksals
Außerdem gibt es noch zwei kleinere Räume in der Bedienstetenwohnung.”
“Na, dann wünsche ich Ihnen viel Glück.” Er öffnete die Tür seines Wagens. “Trotzdem ist es ein Jammer, dass Sie Fremde beherbergen werden. Es ist ohne Zweifel ein eindrucksvolles Anwesen … aber ein bisschen wirkt es wie ein Mausoleum, wenn Sie mir das nicht übel nehmen.” Er stieg ein, schloss die Tür und fügte durch das offene Fenster hinzu: “Ein bisschen Leben würde ihm gut tun. Und dafür gibt es nichts Besseres als einen Haufen Kinder.” Er zwinkerte ihr zu. “Meine Frau und ich haben sieben. Ich kann Ihnen sagen, nichts ist besser dazu angetan, aus einem Haus ein Heim zu machen. Jedenfalls …” Er startete den Motor. “… bin ich Ihnen dankbar, dass Sie mich eingestellt haben, Mrs Westmore. Ein so prachtvoller Garten ist immer eine Herausforderung.”
Kendra sah dem Wagen nach, bis er aus der Einfahrt verschwunden war. Dann ging sie zum Haus zurück. Sie fühlte sich eigenartig niedergeschlagen. Warum nur? Sie hatte erreicht, was sie sich für diesen Nachmittag vorgenommen hatte, nämlich einen Gärtner eingestellt, der genau ihren Vorstellungen entsprach.
Es dauerte ein paar Minuten, bis ihr klar wurde, woher das Gefühl kam. Frank Youngs Bemerkung hatte einen wunden Punkt in ihrem tiefsten Inneren getroffen. Gewiss, sie würde für sich und Megan ein schönes, gemütliches Eckchen von Rosemount reservieren, aber das war nicht genug. Einen Mann und viele Kinder in diesem großen Haus zu versorgen wäre etwas ganz anderes, als eine Pension zu führen.
Sie ging ins Obergeschoss und wanderte ruhelos von Raum zu Raum. Alle Zimmer hatten einen Blick auf den See. Alle waren elegant möbliert und würden nur wenig renoviert werden müssen, damit sie sie zahlenden Gästen anbieten konnte.
Seufzend lehnte sie sich an einen Türrahmen und schloss die Augen. Sie lauschte. Die Stille war nervtötend. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie es wäre, Kinderstimmen zu hören … lachend, streitend, weinend. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie es wäre, die Stimme eines Mannes zu hören: “Kendra? Bist du da? Ich bin zu Hause, Schatz!”
Sie schluckte mühsam, wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln und stieß sich vom Türrahmen ab. Nichts als Träume! An Träume glaubte sie schon lange nicht mehr.
Hayley brachte Megan zur Haustür, als Kendra kam, um sie abzuholen. “Brodie hast du gerade verpasst”, sagte sie, als sie Kendra und Megan zum Wagen begleitete. “Er ist vor Kurzem weggefahren.”
Das hat er ja prima hinbekommen, dachte Kendra. Sicher hatte er ihr nicht begegnen wollen. So, wie sie ihn zuvor behandelt hatte, konnte sie es ihm nicht einmal verdenken. Doch eigentlich war es auch in ihrem Interesse, dass sie ihm nicht begegnete. Warum war sie dann … enttäuscht?
“Bitte richte ihm meinen Dank aus, dass Megan hier sein durfte.” Sie schloss die Wagentür hinter ihrer Tochter. “Ich habe gehört, dass es dir gestern Abend nicht gut ging. Ist alles wieder in Ordnung?”
“Ja, danke. Ich hatte ein ganz schlechtes Gewissen, weil ich Jodi so enttäuschen musste. Aber als sie heute Morgen aufgewacht ist, hat sie mir erzählt, dass Brodie eingesprungen ist. Das war lieb von ihm. Er hat sogar das Eishockeyspiel geopfert, auf das er sich die ganze Woche gefreut hat.”
Diese neue Erkenntnis über Brodie rührte Kendra. Dieser Mann war fast zu gut, um wahr zu sein.
“Er ist der Beste”, erklärte Hayley, als könnte sie ihre Gedanken lesen. “Absolut der Beste.” Ihre Wangen wurden rosig. “Er würde einen wunderbaren Ehemann abgeben. Aber es müsste schon die richtige Frau …”
Sie blickte an Kendra vorbei, als das Brummen eines Motors in der Einfahrt erklang. Ohne sich umzudrehen, wusste Kendra, dass es Brodies Pick-up war.
“Ich gehe jetzt besser wieder ins Haus.” Hayleys Wangen waren jetzt fast so rot wie ihr Sweatshirt. “Es wird Zeit, dass Jodi ins Bett kommt.” Mit einem schnellen “Bis bald” verschwand sie.
Kendra sah ihr verblüfft nach. Hayleys Botschaft hätte nicht deutlicher sein können: Brodie ist zu haben, und ich habe nichts dagegen, wenn du dich um ihn bemühen willst. Unglaublich!
Brodie hielt in der breiten Einfahrt neben ihrem Wagen an. Er stieg aus und sagte: “Ich bin froh, dass ich dich noch erwische.” Er öffnete die weiße Tüte in seiner Hand und nahm ein Medizinfläschchen heraus. “Ich habe jeweils eine für die Kinder mitgebracht. Die Apothekerin
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