Nacht des Verfuehrers - Roman
Freundin gewiegt hätte. Aber die Etikette verbot es ihr, sich eine solche Freiheit herauszunehmen, und Alcy war froh darüber. Sie war eben doch kein Diamant, sondern nur ein zerbrechlicher Kristall, den ein Atemhauch zerspringen lassen konnte.
»Bitte«, sagte sie sanft, als wolle sie sich entschuldigen, dass die Situation einen aufrichtigen Kontakt nicht zuließ, »bitte, wickeln Sie alles in meinen Reserveumhang.«
»Wohin wollen Sie?«, fragte die Zofe leise und senkte den Blick, während sie tat, was Alcy ihr aufgetragen hatte.
»Erst in westliche Richtung, dann nach Süden«, erwiderte Alcy sofort. »Ich muss zur Donau und ihr flussaufwärts
bis Orsova folgen, wo ich ein Boot mieten kann. Dann muss ich schnell nach Genf, um … meinen Ehemann« – sie stolperte über die letzten beiden Worte – »daran zu hindern, mir meinen Pflichtteil zu stehlen. Ich würde Sie ja gern mitnehmen, aber Sie können nicht reiten …«
Celeste nickte. Es war die nackte Wahrheit. »Ich würde Sie begleiten, wenn Sie mich darum bäten, aber vermutlich würde ich Sie nur bremsen und Ihnen auf die Nerven gehen. Machen Sie sich meinetwegen nur keine Sorgen, ich kann den Grafen ein wenig aufhalten und glaube nicht, dass man mich hier schlecht behandeln wird.«
»Ich schicke Ihnen jemanden her, sobald ich in Genf bin«, versprach Alcy.
Celeste lächelte, und Alcy sah ihr an, wie traurig sie war. »Ich weiß, dass ich mich auf Sie verlassen kann, Madame.«
Alcys Schuldgefühle wollten sich noch nicht legen. »Ich kann vielleicht etwas Geld entbehren -«
»Nein, Madame«, sagte Celeste entschieden. »Sie werden es für sich selbst brauchen. Ich könnte keinen Heller von Ihnen annehmen. Das Geld würde mir hier ohnehin nichts nützen, und ich könnte nicht mit der Vorstellung leben, dass es vielleicht Ihr Untergang wäre.«
Alcy nahm ihre Zofe an beiden Händen. »Sie sind eine gute Seele, Celeste Mathieu«, flüsterte sie, wobei es ihr die Kehle zuschnürte.
»Es ist einfach, gut zu sein, wen man eine Mistress hat, die sich so leicht lieben lässt«, erwiderte Celeste mit Nachdruck. »Madame«, setzte sie mit Verspätung hinzu.
Alcy schluckte schwer gegen die Tränen an, die sie zu ersticken drohten. »Wenn nur auch andere so dächten.«
Die nächste Stunde war die reinste Tortur. Celeste und
Alcy schmuggelten abwechselnd das Gepäck ins leere Räucherhaus, wo Alcy alles in die Satteltaschen umpackte, die Celeste aus der Lagerkammer geholt hatte. Als die Sachen verstaut waren, ging Alcy wie aus einer Laune heraus in den Stall, um dem Stallburschen mitzuteilen, dass ihr Raisin zuletzt recht nervös erschienen sei und sie das Pferd auf dem Schlossgelände bewegen wolle. Der Stallbursche schien ihr Vorhaben nicht für abwegig zu halten und übergab ihr Raisin mit den besten Wünschen. Im stechenden Licht, das durch die Ritzen in den Wänden des Räucherhauses fiel, schnallte Alcy die vollgestopften Satteltaschen auf die kleine schwarze Stute.
Die fünf Minuten, die sie für den Ritt vom Räucherhaus durch das Schlosstor brauchte, waren die nervenaufreibendsten ihres Lebens. Aber niemand kam ihr in die Quere – niemand schien sie auch nur zu bemerken. Sie ließ Schloss Severinor und alles, wofür es stand, so problemlos hinter sich, als erwache sie aus einem Traum.
Alcy dirigierte Raisin gen Westen und ließ das Pferd entscheiden, ob es einen Kaninchenpfad nehmen wollte oder lieber einen der Schafswege. Viel Hoffnung, die Verfolger abhängen zu können, indem sie weder durchs Gebüsch brach noch einen der befestigten Wege wählte, hatte Alcy allerdings nicht.
Sie machte sich ihr Gehirn frei, konzentrierte sich auf die Felsen und Bäume, und dennoch konnte sie spüren, wie sich in ihr ein Abgrund auftat und sie in seine Tiefen zu saugen drohte
Gut, sagte sie sich grimmig, dann soll das Pferd mich jetzt eben dort hinbringen. Und das war für lange Zeit ihr letzter Gedanke.
Kapitel 12
Dumitru, der noch über Volynroskyjs letzten Scherz lachte, trat in den Salon und hielt seinem Freund die Tür auf.
Volynroskyj ließ einen leisen anerkennenden Pfiff hören. »Hier sieht es ja plötzlich ganz anders aus. Ich dachte, deine Frau ist keine von der häuslichen Sorte.«
Dumitru zuckte die Achseln und schaute sich um. »Es war nicht meine Frau, die all das hier bewerkstelligt hat, sondern ihre Zofe.« Sobald Celeste die Nebengebäude entdeckt hatte, hatte sie sofort die besten Möbelstücke herausgeholt. »Bis die Möbel aus Genf
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