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Nacht des Verfuehrers - Roman

Nacht des Verfuehrers - Roman

Titel: Nacht des Verfuehrers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce Gabi Langmack
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ihn verlassen. Dumitru hätte am liebsten geschrien, getobt, das Bett in Stücke gehauen, weil es seine Frau nicht aufgehalten hatte. Stattdessen stand er erstarrt da und sah Celeste an. Idiotisches Weibsstück, schnarrte ein Teil in ihm. O Gott, Alcyone!, jammerte ein anderer. Und alles war von einer schrecklichen Furcht durchzogen, die scharf und dünn war wie eine Messerklinge. Sie war fort, war in die Wildnis verschwunden, eine verhätschelte Städterin, die keine Ahnung hatte, wie man mit Gefahren fertig wurde – mit natürlichen wie auch von Menschen gemachten. Wenn sie nicht von selbst in eine Schlucht fiel, gab es da draußen genug Kerle, die ihr einen Schubs verpassen würden. »Ist sie alleine unterwegs?«, fragte er, als er endlich wieder sprechen konnte. Seine Worte waren klar und frostig, verrieten nichts von dem Mahlstrom, der in ihm tobte.
    »Ich vermute es zumindest«, erwiderte Celeste eingeschnappt.
    »Zu Pferd«, setzte er tonlos hinzu.
    »Ja, geflogen ist sie bestimmt nicht!«, schnappte Celeste verächtlich schnaubend zurück.
    Dumitru sah Volynroskyj an. »Wir brechen auf«, sagte er. »Sofort.«

    »Es ist stockdunkel«, sagte der Ukrainer. »Wir brechen uns da draußen bloß den Hals.«
    »Ich weiß«, sagte Dumitru. »Aber sie vielleicht auch. Wir brechen auf.« Er drehte sich um und marschierte hinaus, bevor Volynroskyj noch einmal protestieren konnte.
     
    Raisin stolperte ein klein wenig, und Alcy fuhr im Sattel zusammen. Sie blickte von dem Flecken Erde vor den Hufen des Pferdes auf, den sie die ganze Zeit über angestarrt hatte. Sie erkannte nichts wieder – oder besser gesagt: Es gab nichts, das sie hätte wiedererkennen können. Felsen und Bäume und Gebüsch waren für sie nichts anderes als Felsen und Bäume und Gebüsch. Gebäude und Straßen waren von Menschen gemachte Konstruktionen mit Eigenheiten, an denen sich etwas festmachen ließ; doch selbst nach zwei Monaten mit täglichen Ausritten waren Wälder für sie immer noch ein grünes Gewirr und nichts weiter.
    Sie wusste, dass sie in die richtige Richtung unterwegs war, denn immer wenn Raisin eine Lichtung durchquerte, spürte Alcy die sinkende Sonne im Gesicht, selbst wenn sie hinter den Bäumen oft gar nicht richtig zu erkennen war; und wenn sie sich umdrehte, dehnte sich hinter ihr ein Schatten. Ich gehe nach Hause, sagte sie sich jedes Mal, wenn sie sich nach hinten umblickte und die Richtung korrigierte. Sie schob den kleinen gebrochenen Anteil in sich beiseite, der darauf bestehen wollte, dass ihr Zuhause hinter ihr lag und sie sich mit jedem Schritt weiter entfernte. Es würde nie ihr Zuhause sein; es war ein hübsches Stickbild auf einem Tuchfetzen aus Lügen. Sie fühlte sich stark und leer zugleich. Und sie musste auch
stark sein, denn schließlich hatte sie noch einen langen Weg vor sich.
    Die Minuten tickten vorbei, die Schatten hinter ihr gewannen an Länge, und das Sonnenlicht wurde schwächer. Es wurde kühler, als die Sonne sich dem Horizont näherte. Alcy würde noch vor Sonnenuntergang einen guten Lagerplatz finden müssen – einen, an dem es für Raisin und sie Wasser gab und gutes Gras für das Pferd, denn sie hatte in den Satteltaschen nur eine kleine Menge Hafer mitnehmen können. Doch die Minuten vergingen und brachten keinen passenden Platz zum Rasten.
    Alcy verspürte zum ersten Mal wirkliche Angst; ihr Magen zog sich zusammen, und sie schwitzte in ihren Handschuhen. Wie weit war es noch bis zum nächsten Fluss? Konnte sie es sich leisten, weiterzureiten in der Hoffnung auf Erfolg? Wenn sie zu lange abwartete, bevor sie ihr Lager aufschlug, würde die Sonne untergehen, und dann war sie gezwungen, auf der Stelle Halt zu machen, wollte sie nicht ihren Hals und Raisins Beine riskieren; und dann bekäme Raisin nicht einmal Gras. Aber wenn sie keinen Fluss fand, musste sie die beiden Feldflaschen mit ihrem Pferd teilen, und nach diesem langen Ritt war das für Raisin nicht genug Wasser.
    Sie dachte an den Fluss, dem sie am frühen Nachmittag gefolgt waren. Einen halben Kilometer war sie durchs Wasser gezogen, um keine Spuren zu hinterlassen, bevor sie wieder durchs Unterholz geritten war. Sie hätte dort lagern können mit reichlich Wasser zum Trinken und Waschen. Sollte sie umkehren? Dazu war es jetzt sicher zu spät. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, einfach so alleine fortzulaufen? Eine Dame der Gesellschaft war sie nicht,
aber als Försterin machte sie womöglich eine noch schlechtere Figur, und

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