Nacht des Verfuehrers - Roman
wählt, lässt sich praktisch alles rechtfertigen«, meinte Dumitru.
Ihr Lächeln wurde breiter. »Das weiß ich längst.«
Sie aßen zusammen auf der Decke, die Alcy im Schatten eines Baumes ausgebreitet hatte, und von da an freute er sich jeden Tag, sobald die Sonne höher stieg, auf ihr Erscheinen. Wie öde seine Tage gewesen waren, bevor Alcy in sein Leben getreten war, dachte Dumitru immer öfter. Er konnte sich ein Leben ohne sie kaum mehr vorstellen.
»Verdammt«, rief Alcy und starrte das Blatt an, das sie vor sich liegen hatte. Sie hatte schon wieder den Faden verloren. Die säuberlichen Formeln waren nur noch ein sinnloses Wirrwarr, und sie hatte keine Ahnung, wie sie überhaupt an diese Stelle gekommen war, weil sie nicht alles im Kopf behalten hatte. Es war genauso grässlich, wie mit römischen Ziffern zu multiplizieren.
Halt! Sie zwinkerte das Durcheinander an. Das war es doch! Das war exakt der Kern des Problems. Es war die Niederschrift, bei der sie immer wieder ins Stolpern geriet,
weil die schwerfällige Notation den Gedanken nicht folgen konnte. Aber wenn sie sich eine andere Form der Niederschrift einfallen ließe …
Die Tür flog auf, und Alcy drehte sich um, als Celeste ins Studierzimmer trat. »Ich habe auf dem Burghof Radau gehört und nachgesehen, was los ist«, sagte die Zofe atemlos. »Herr Volynroskyj ist zurück!«
Alcy stand sofort auf. »Weiß der Graf schon davon?«
»Ich glaube nicht, zumindest habe ich ihn nicht gesehen«, erwiderte Celeste.
»Gut!« Trotz der hektischen Erntezeit hatte Alcy gespürt, dass die lange Abwesenheit seines Verwalters Dumitru Sorgen bereitete – er wäre sicher froh, von der Rückkehr des Mannes zu erfahren; und sie wollte sein Gesicht sehen, wenn sie ihm davon erzählte. Außerdem würde Volynroskyj vor Reiseanekdoten schier überquellen, und sie wollte die erste aktuellste Fassung nicht versäumen.
Alcy eilte die Stufen ins Erdgeschoss hinunter. Sie wollte gerade zum Stall laufen, als sie in der Nähe Stimmen hörte, die sich auf Deutsch unterhielten. Sie zögerte, als sie Dumitrus erkannte – dann musste die andere wohl Herrn Volynroskyj gehören.
Zuerst war sie enttäuscht, weil sie Dumitru ja nun nicht mehr von der Rückkehr seines Verwalters berichten konnte. Außerdem verspürte sie einen schmerzlichen Stich, weil ihr Ehemann sie nicht informiert hatte. Immerhin erwartete man von ihr, dass ihr Volynroskyjs Rückkehr nicht gleichgültig war; Dumitru hätte sie den Mann wenigstens begrüßen lassen können, bevor er sich mit ihm zurückzog. Aber was erwartete sie da? Herr Volynroskyj war zwar Dumitrus Freund, aber eben auch ein Angestellter. Somit
hatte man ihr ja eigentlich nicht verweigert, jemanden aus einer der Bojaren-Familien hier zu begrüßen, selbst wenn sie dieses Privileg beim ersten und einzigen Mal nicht sonderlich genossen hatte.
Alcy war auf unerklärliche Weise verletzt, während sie den Stimmen zur Tür des Kabinetts folgte. Die Tür war geschlossen, weswegen sie keine einzelnen Worte ausmachen konnte, bis sie direkt davor stand. Sie hob schon die Hand, um anzuklopfen, als etwas, das Volynroskyj sagte, sie innehalten ließ.
»Es ist machbar«, sagte er. »Er braucht dazu bezeugte, eidesstattliche Erklärungen sowohl von ihr als auch von ihm, in denen der Transfer gutgeheißen wird.« Ihr . Alcy war die einzige Frau in Severinor, die eventuell geschäftliche Angelegenheiten jenseits der Grenze zu erledigen hatte. Und wer konnte »ihm« sein? Ihr Bevollmächtigter? Warum hätte Dumitru etwas mit ihm zu schaffen haben sollen? Sie starrte die Tür an und ließ langsam die Hand sinken.
»Kein Problem.« Dumitrus Stimme war von einer kühlen Zuversicht, und Alcy krampfte sich der Magen in böser Vorahnung zusammen.
Es folgte eine fast greifbare Stille, und dann sagte Herr Volynroskyj: »Du könntest zumindest versuchen, das Thema auf feinfühlige Weise aufs Tapet zu bringen. Ich bezweifle, dass irgendeine Ehefrau über derartige Schritte ihres Gatten erfreut wäre, und eine Ausländerin mit seltsamen Vorstellungen, was die Rolle der Frau angeht, mit Sicherheit nicht. Aber sie hat bestimmt Interesse daran, dass du dein Land voranbringst, da es jetzt ja auch ihr Land ist -«
»Nein«, schnitt Dumitru ihm das Wort ab. »Ich werde
nicht am Rockzipfel meiner Frau hängen. Ich kann sie nicht bei jedem Projekt um Zustimmung bitten; und ich habe auch nicht vor, über jeden Heller, den ich ausgebe, Rechenschaft
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