Nacht des Verfuehrers - Roman
Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf ihren Ehemann.
Nein. Oh, nein, nein, nein! Ohne nachzudenken, schwang sie sich rittlings in den Sattel. Die Sandbank war gerade gute zehn Meter von der Stelle entfernt, wo Dumitru, verblüfft, sie zu sehen, sein Pferd zum Stehen gebracht hatte. Alcy trieb ihr Pferd in die einzige Richtung, die ihr noch blieb – direkt in die Donau.
Nach nur zwei Galoppsprüngen stand das Wasser schon um Raisins Hufe, dann bis über die Hinterläufe, und dann
fing das Tier an zu schwimmen, während Alcy bis über die Hüften im braunen Fluss versank.
Ihre Schenkel brannten einen Moment lang vor Kälte, dann wurden sie so taub wie die Füße. Sie drehte sich gerade lang genug um, um den anderen Mann sein Pferd wenden zu sehen, während Dumitru Bey mit einem mächtigen Satz, der das Wasser in alle Richtungen aufstieben ließ, in den Fluss trieb. Tropfen spritzten auf ihre Wange. Zu nah. Gott, er war viel zu nah! Doch es gab kein Zurück mehr.
Das dunkle trübe Wasser wirbelte um Alcys Taille, zerrte an ihren schweren Röcken und versuchte sie beide, Raisin und sie, nach unten zu ziehen. Die Strömung trieb sie flussabwärts, unter der trägen Oberfläche verbarg sich eine unerbittliche, reißende Kraft. Obwohl ihre Beine kaum noch schmerzten, war ihr klar, dass sie trotz aller Stoffschichten Körperwärme einbüßte.
Habe ich uns beide etwa schon umgebracht?, fragte sie sich plötzlich und drehte sich panisch nach dem Ufer um, das so entfernt wie eine andere Welt schien. Wie weit waren Pferde in der Lage zu schwimmen? Sie wusste es nicht, aber ihre triefenden Kleider und das Gepäck konnten das Pferd nur behindern. Sie fasste im Wasser nach dem Messer, das sie an ihrer Hüfte festgebunden hatte. Sie fand den emaillierten Knauf, zog daran und tastete nach den Riemen der Satteltaschen. Das Wasser war so kalt, dass ihre Finger praktisch auf der Stelle steif und ungelenk wurden, aber schließlich bekam sie einen Riemen zu fassen und säbelte mit aller Kraft an dem dicken Leder herum.
»Alcyone!«, schallte Dumitrus Stimme über das Wasser. Sie sah auf und sah ihn neben seinem Pferd schwimmen, eine Hand am Sattel und mit den Beinen hinter sich das
Wasser aufwühlend. Sein Haar war nass und klebte eher schwarz als silbern an seinem Kopf. Seine Miene war kaum zu ertragen: eine Marmorbüste göttlichen Zorns. Ihr stockte das Herz, weil ihre verräterischen Augen sich an ihm ergötzten. Gott, sie hatte sich so danach gesehnt, ihn zu sehen.
»Alcyone, dreh um!« schrie er. »Du wirst uns noch alle umbringen!« Aber sein Ton war eher von Wut als von Angst erfüllt. Alcy fasste neuen Mut, als der erste Riemen nachgab, und nahm gleich den zweiten in Angriff.
»Wenn du nicht sterben willst, dann mach kehrt, aber folgen werde ich dir nicht!«, schrie sie zurück. Der ganze Zorn und Schmerz der letzten drei Tage kochte hoch und sprach aus ihren Worten, aber sie machte gar nicht erst den Versuch, sich zurückzuhalten. »Sobald es mich irgendwo ans Ufer spült, kannst du mir auch noch die Kleider klauen!«
»Sei nicht dumm!«, schnappte er.
Der zweite Riemen gab nach, und die Satteltaschen sackten ab. »Das Gleiche wollte ich gerade zu dir sagen!«, schrie sie zurück. Er kam näher. Sie steckte das Messer in die Scheide zurück und kehrte ihm den Rücken zu. Dann packte sie den Sattelknauf, schwang das rechte Bein herum und ließ sich an Raisins Seite entlang in den Fluss gleiten. Das eisige Wasser traf ihre Brust wie ein Hammerschlag und presste ihr die Luft aus den plötzlich viel zu engen Lungen. Zu kalt. Sie zwang sich zu atmen – einmal, zweimal, dreimal. Das Gefühl ließ nach, aber sie begann unkontrolliert zu zittern.
Sie packte eine Ecke der Satteldecke, um sich über Wasser zu halten, und fing an zu strampeln. Ihre Röcke verhedderten
sich bei jeder Bewegung, schlangen sich um ihre Beine und zogen sie hinab, bis sie kaum mehr mit Raisin mithalten konnte. Das Korsett wollte sich nicht dehnen und verweigerte ihrem Körper den Sauerstoff, den er so dringend brauchte. Sie kämpfte gegen die Schwindelgefühle und den Sog des Flusses, klammerte sich, während Raisin sie hinter sich herzog, mit erfrorenen Fingern an eine Satteldecke, die sie nicht mehr fühlen konnte. Dann ließ die Taubheit nach, und ihre Beine brannten vor Schmerz; innerhalb weniger Minuten war sie unvorstellbar erschöpft und ausgekühlt. Sie wäre nicht einmal mehr fähig gewesen, in den Sattel zurückzuklettern, selbst wenn sie
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