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Nacht des Verfuehrers - Roman

Nacht des Verfuehrers - Roman

Titel: Nacht des Verfuehrers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce Gabi Langmack
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ihnen die Wärme ausgesaugt hatte. Sie wusste zwar, dass es anders herum war: Ihre Wärme war in den Boden gekrochen, aber sie fühlte sich wie ausgezehrt. Sie fing an zu zittern – oder zitterte eigentlich einfach weiter, denn sie musste auch im Schlaf gezittert haben. Sie blinzelte in den Himmel hinauf, dessen Blau nicht von der geringsten Wolke getrübt wurde. Die Sonne war schon mitten im Anstieg. Wie spät war es? Sie suchte nach der Taschenuhr, die an ihrem gewohnten Platz auf dem Mieder festgesteckt war. Fast zehn. Sie hatte mehr als zwei Stunden Tageslicht verloren. Sie sah sich frustriert nach Raisin um.
    Das Pferd stand am Rand der Lichtung, Seil und Zügel baumelten ihm um die Beine. Alcys Herz pochte mit einem Mal so schnell, dass ihr die Brust eng wurde. Sie musste das Seil im Schlaf losgelassen haben. Nichts konnte Raisin hindern, einfach davonzumarschieren.
    »Komm her, Raisin«, krächzte sie, kam stolpernd auf die Füße und kämpfte gegen die Panik an, während ihr das unentrinnbare Szenario vor Augen stand: Raisin lief einfach davon, und sie versuchte, den Wald zu Fuß zu durchqueren, nur um von Dumitru gestellt oder von Banditen überfallen
zu werden oder allein in der Wildnis zu sterben »Raisin, komm her, mein Mädchen!«
    Die Stute spitzte die Ohren und kam einen Schritt auf Alcy zu, blieb stehen und beäugte Alcy mit milder, sorgloser Neugier.
    »Nun komm schon«, drängelte Alcy.
    Raisin kam näher, wedelte mit dem Schweif.
    »Gutes Mädchen, Raisin!«
    Aber Raisin blieb erneut stehen, und alles Schmeicheln half nichts. Das Pferd war jetzt noch an die acht Meter weit weg, und Alcy unterdrückte den Drang, loszulaufen und sich auf die hängenden Zügel zu stürzen und dabei zu riskieren, dass Raisin vor Schreck das Weite suchte.
    Nachdem sie die Stute eine Weile nur angeschaut hatte, kam ihr eine Idee. Sie fummelte an ihrer Rocktasche herum, als suche sie nach einem Zuckerstück, dann streckte sie verführerisch die Hand aus. »Na, komm schon, Mädchen.«
    Raisin blähte die Nüstern und kam näher – einen Schritt und noch einen Schritt, und dann lief sie folgsam zu Alcy. Als sie nah genug heran war, packte Alcy das Seil. Schwindlig vor Erleichterung überschüttete sie die Stute mit Lob und streichelte sie als Wiedergutmachung, weil sie ja gar kein Stück Zucker hatte.
    Die Zügel über dem Arm aß Alcy dann mechanisch ein paar Bissen Brot, dann sattelte und belud sie das Pferd, was ihr allerdings nur unter großen Mühen gelang. Der Sattel war schwerer, als sie es erwartet oder vom gestrigen Abend in Erinnerung hatte, viel wuchtiger als die englischen Sättel; nicht dass sie auch nur einen davon je hochgehoben hätte. Es bedurfte zweier Versuche, bis er auf Raisins Rücken
lag. Beim ersten Mal rutschte ihr die Satteldecke weg, und sie musste um Raisin herumlaufen, um sie aufzuheben. Aber dann zog sie triumphierend den Sattelgurt fest und schwang sich nicht minder triumphierend in den Sattel, so wie sie es erst vor wenigen Wochen gelernt hatte. Sie hakte das Bein über den Stützknauf des Damensattels und dachte, ich schaffe das, ich schaffe das.
    Aber sie wusste nicht, ob sie deshalb lachen, weinen oder schreien sollte.

Kapitel 13
    »Wir werden sie nicht vor Sonnenuntergang finden«, prophezeite Volynroskyj und beäugte die Sonne, die sich gerade kurz auf der Kante eines Gebirgszuges hatte blicken lassen.
    »Ich weiß«, sagte Dumitru. Ein Großteil seines Zorns war auf dem langen Ritt verflogen. Doch seine Entschlossenheit wankte nicht. Er würde seine Frau finden, und er würde sie nach Hause bringen – selbst wenn er nicht wusste, weshalb das so wichtig sein sollte. Sein Kopf dröhnte, weil er zu wenig Schlaf abbekommen hatte, und er wollte jetzt nicht nachdenken. Also schob er den Gedanken beiseite und konzentrierte sich aufs Reiten.
    »Die Männer haben nur für zwei Tage Proviant dabei«, setzte Volynroskyj hinzu. Sie ritten ein Stück hinter der großen Gruppe und folgten den Hunden durch das Unterholz. Bei Tageslicht konnte Dumitru die Wildpfade erkennen, denen Alcy folgte; ihr einzig erkennbares Entscheidungskriterium war offensichtlich, dass sie konsequent nach Westen ritt.
    »Ich weiß«, wiederholte Dumitru. Er machte ein finsteres Gesicht, eine Miene, die er mittlerweile mit der gleichen Selbstverständlichkeit aufsetzte wie früher sein Lächeln. »Ich schicke sie – und dich auch – morgen zurück. Du kannst dich um Severinor kümmern, solange ich weg
bin. Bogdan und

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