Nacht des Verfuehrers - Roman
loszuschicken, um sie herauszuholen, und zwar entweder als Gesandte Popescus oder auch ihres Vaters.
Die Frauen eilten davon, als die Hajduken und ihre Gefangenen die Tür passierten. Dumitru blinzelte in die plötzliche Dunkelheit. Das bisschen Wärme, das die Sonne gespendet hatte, wich drinnen der Kälte. Er schaffte es
nicht, seine Augen an die Finsternis zu gewöhnen, während man sie vorwärtsschob. Er hatte den Eindruck, dass sie diverse dunkle feuchte Räume passierten. Seine Füße scharrten über den Lehmboden, während Hunde und Hühner ihm auswichen.
Schließlich scheuchte man sie in den nächsten fensterlosen Raum; er war größer als die Zimmer zuvor, aber an der längsten Wand kaum tiefer als sechs Meter. Eine Woge der Wärme kam ihm entgegen. Auf der Feuerstelle in der Mitte wurde geheizt, und das Feuer erfüllte den Raum mit Rauch, der nicht sofort durch das Loch oben im Dach abzog. Seiner prekären Lage zum Trotz war Dumitru dankbar für die Wärme, die seine Knochen zum Auftauen und seine Kleider zum Dampfen brachte. Die feuchten Wände verströmten den modrigen Geruch alten Kuhdungs, der sich mit dem Rauch mischte und in Hals und Nase brannte. Der Boden war hier aus Stein, nicht aus Lehm, und die mit einer Rußschicht bedeckten Wände hatte man vor Menschengedenken zum letzten Mal gekalkt. Dennoch war der Raum von Bedeutung. Und das verhieß nichts Gutes.
Ein dicker Mann mit einem enormen struppigen Bart saß auf dem einzigen Stuhl am Feuer, die Hände zufrieden über dem Bauch gefaltet. Über dem bestickten Hemd und den kurzen Hosen trug er einen Gehrock, der aus Österreich oder Frankreich stammen musste und ihm offen über den gewaltigen Bauch hing. Drei Männer in teuren englischen Anzügen, wie sie derzeit bei der aufstrebenden Elite östlich von Österreich in Mode waren, standen hinter ihm. Als wäre das nicht Warnung genug gewesen, stellten sie allesamt identische Mienen zur Schau. Der abgehobene Gesichtsausdruck
auf ihren verblüffend jungen Gesichtern sagte ihm genau, wer sie waren: die idealistischen Söhne reicher Männer, die in Frankreich die Sprache von Nationalismus und Grandeur aufgeschnappt hatten, während sie die Guillotinen bequemerweise vergessen hatten. Revolutionäre, die das Dorf mit ihrem Gerede von Nation und Schicksal aufstachelten. Verdammt. Das war nicht gut. Dumitrus äußere Erscheinung war unverkennbar, und wenn irgendjemand gehört hatte, wie der Graf von Severinor aussah, dann mit Sicherheit diese Männer.
An den Wänden standen noch andere Leute, allesamt Bauern, welche die Gefangenen mit leuchtenden Augen inspizierten. Immer mehr Frauen, die Kopftücher trugen und sorgsam ihr Gesicht abwandten, bewegten sich zwischen ihnen. Die Neugier hatte ihr Misstrauen Fremden gegenüber bezwungen.
Der Anführer ging zu dem dicken Mann, vermutlich dem Knez, und sprach leise mit ihm, wobei sich der Hajduke wie ein Lord verhielt, der jemandem seine Gunst gewährt. Die Augen des Mannes weiteten sich, dann zogen sie sich zusammen, und er schnaubte, ob interessiert oder ungläubig, wusste Dumitru nicht zu sagen. Er konzentrierte sich auf die drei jungen Gentlemen. Der Knez war ein typischer Dorfältester, eine berechenbare, bekannte Größe. Bei den Revolutionären musste man sich auf alles gefasst machen.
»Was habt ihr vorzubringen?«, fragte der Knez auf Serbisch. Er schien die unerwartete Gelegenheit, seine Macht auszuspielen, überaus zu genießen.
»Warum fragen Sie das nicht sie?«, erwiderte Dumitru und nickte Alcy zu, die mit verständnisloser Miene zwischen
ihm und dem Knez hin und her sah. Sie würde ohnehin ihre Meinung äußern, also machte es gar kein Sinn, wenn er eine Geschichte erzählte, bevor sie etwas gesagt hatte.
Der Anführer murmelte dem Knez etwas zu. Der Mann sah verärgert aus und wiederholte in einem Deutsch mit starkem Akzent, aber verständlich: »Was habt ihr vorzubringen?«
Alcyone reckte das Kinn ein wenig höher, und Dumitru stellte sich auf einen virtuosen Auftritt ein, denn sie hatte genug Zeit gehabt, sich ihre Geschichte zusammenzureimen. Er sollte nicht enttäuscht werden.
»Ich bin Fräulein Carter«, begann sie hochmütig, »und ich bin in dem guten Glauben und mit der Absicht nach Ungarn gekommen, einen Mann zu heiraten, mit dem mein Vater mich verlobt hatte. Aber dann sind meine Dienstboten und ich von diesem Wegelagerer überfallen worden« – sie wies mit dem Kinn auf Dumitru – »der versucht hat, mich zur Heirat zu
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