Nacht des Verfuehrers - Roman
Knauf. Verriegelt, natürlich. Er hämmerte dagegen. »Die Lady braucht etwas zu essen und eine Zofe!«, brüllte er auf Serbisch. Keine Antwort. Nach einer Weile kehrte er zu ihr zurück. Es rührte ihn zutiefst, wie sie so dalag; dieser wunde, wirre Ausdruck auf ihrem Gesicht, als sei jeder Verrat, der ihr im Leben widerfahren war, in diesen Augenblick geflossen. Sie sah so klein und verletzlich aus, und das erschütterte ihn. Er hatte sich so an die zornige, leidenschaftliche Alcy gewöhnt und gar nicht mehr daran gedacht, dass derselbe Verstand, der so schnell und scharf arbeitete, so jung und verletzlich war wie jeder andere auch. Sie schloss die Lider, und der schwarze Rand ihrer Wimpern verschmolz mit der violetten, zerbrechlichen Haut unter ihren Augen. Ihr
Schutzbedürfnis schmerzte ihn, doch sie war entschlossen, um jeden Preis ohne ihn zurechtzukommen.
»Es darf doch nicht wahr sein, dass sie das tun«, murmelte sie und starrte die Tür an.
»Was tun?«
»Sie halten dich für meinen potenziellen Vergewaltiger, und sie haben mich hier mit dir eingeschlossen«, sagte sie ein wenig ungläubig, obwohl sie immer noch benommen war.
»Vielleicht käme es ihrer Sache entgegen, wenn ich dich dazu zwingen würde, mich zu heiraten«, erwiderte er trocken. »Mit welchen Mitteln auch immer. Das sind Revolutionäre, Alcyone. Visionäre. Ein Mädchen ist da ein kleines Opfer, wenn es um die große Sache geht.«
»Ich glaube, ihre Visionen sind mir egal«, sagte Alcy matt.
»Mir auch. Die Osmanen und der Prinz mögen bösartig sein, aber sie sind auf ihre Art nicht besser. Sie glauben, dass man den Baum der Nationalität mit dem Blut der Menschen gießen muss – ihrem eigenen, dem anderer, es spielt keine Rolle, solange es nur heldenhaft ist.« Er sah sie lange an. »Du magst eine der intelligentesten Frauen – eine der intelligentesten Personen – in ganz Europa sein, aber von den wirklichen Menschen der wirklichen Welt weißt du kaum etwas.«
»Nein?«, fragte sie und wurde noch regloser und bleicher.
»Nein, sicher nicht«, insistierte er. »Die wirkliche Welt besteht nicht aus hübschen Theorien und abgehobenen Journalen, die von einem reichen, verwöhnten Mädchen in einem großen warmen Zimmer gelesen werden. Das wirkliche
Leben findet auf den Straßen und in den Armenhäusern statt und in erbärmlichen kleinen Provinznestern, wie du sie dir gar nicht vorstellen kannst. Dort, wo Männer zu einem Preis, den keiner bezahlen sollte, ihren wahnwitzigen Träumen nachjagen.«
»Wie in Severinor?«, fragte sie giftig, doch Dumitru biss nicht an.
»Genau wie in Severinor«, sagte er. »Oder in den Fabriken deines Vaters. Du sagst, das Geld, mit dem ich das Leben meiner Leute verbessern will, gehöre dir. Aber wie wurde es verdient, wenn nicht mit dem Schweiß der Arbeiter, deren Hände von der Arbeit an deines Vaters Fadenrollen verkrüppelt sind und deren Rücken sich unter der schweren Arbeit beugen?«
»Wie es verdient wurde? Mein Vater war durchaus wohlhabend, nachdem er die Fabriken seines Vaters geerbt hatte. Aber wirklich reich gemacht habe ich ihn, niemand sonst. Mein Vater hat einen jungen Ingenieur von der Universität Edinburgh eingestellt, der die Maschinen verbessern sollte. Ich war zwölf Jahre alt, er war mein Held, und er hat in mir die Neugier geweckt und vielleicht auch ein Vehikel künftigen Reichtums. Er hat mich kultiviert. Ich brütete über seinen Zeichnungen, seinen Diagrammen und schematischen Darstellungen. Und ich habe sie verbessert, habe reine Mathematik und Physik eingesetzt und sie in den Dienst unserer kommerziellen Zwecke gestellt, indem ich sowohl die Sicherheit als auch die Produktivität der Maschinen verbessert habe. Und zwar in einem solchen Ausmaß, dass der Gewinn meines Vaters sich in dem Jahr, in dem wir sie in Betrieb genommen haben, verdoppelt und die Zahl der Unfälle sich halbiert hat. In den Webereien
meines Vaters gibt es keine verkrüppelten Hände, und unser Reichtum ist genauso wenig erstohlen wie die Pacht, die du deinen Leuten abnimmst.« Sie biss sich auf die Unterlippe, starrte ihn finster an und platzte nach einer Weile heraus: »Warum macht es dir solche Angst, dass ich ein klein wenig Kontrolle über mein Leben habe? Warum ist es für dich ein unerträglicher Horror, wenn in unserer Ehe eine Art Gleichgewicht besteht?«
»Deine Macht, über dich selbst zu bestimmen, ist nicht unerträglich für mich«, erwidert Dumitru. »Es ist die Macht, die du über
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