Nacht des Verfuehrers - Roman
mich und mein Land hast.« Er war innerlich aufgewühlt. Er hatte sich viele Theorien über diese Frau zurechtgelegt, und er fragte sich zum ersten Mal, wie viele davon sich letztendlich als falsch erweisen würden. Sie hatte sich als nutzlos bezeichnet – oder, genauer gesagt, behauptet, dass die Nutzlosigkeit der Lebenszweck der Frau sei -, und jetzt, als sei ihr der Widerspruch nicht bewusst, behauptete sie, dass sie genau das nicht gewesen sei. Er fragte sich plötzlich, was sie noch alles getan haben mochte – wozu sie noch fähig war.
»Und wie klein ist sie doch, verglichen mit deiner männlichen Autorität«, sagte sie leise, mit beißender Verachtung in der Stimme. »Frauen sind schwach, und die Männer wollen uns auch so haben. Mit winzigen Taillen, in hinderlichen Röcken und einem Hirn, dem das strahlende Licht des Wissens vorenthalten bleibt. Und so werden wir, was wir werden müssen, und lassen es zu, dass selbst unsere innersten Gedanken nach den Wünschen unserer Meister geformt sind. Dir mag meine Vierzig-Zentimeter-Taille nicht gefallen, aber was hättest du gesagt, wenn ich das Korsett ganz weggelassen hätte, wenn ich meine Röcke gegen
Hosen und meinen Damen- gegen einen Herrensattel getauscht hätte? Wenn ich ein Korsett tragen muss, um schön zu sein, dann, bei Gott, werde ich schön sein, und niemand wird je behaupten können, ich sei unweiblich. Aber glaubst du wirklich, dass mir die Dinge, so wie sie sind, gefallen? Oder dass ich etwas anderes tun könnte, als mich und die Welt gleichermaßen dafür zu hassen, dass jemand wie ich in ihr nicht überleben kann?«
Dumitru sagte lange Zeit gar nichts. Die Vehemenz ihrer Worte schockierte ihn. Er war überzeugt gewesen, dass sie aus Gier und Abscheu vor ihm geflohen war. Er hatte nur die negativen Auswirkungen gesehen, die ihre Bestrebungen auf ihn selbst hatten, und nicht, dass sie ihre Unabhängigkeit um ihrer selbst willen liebte, und noch dazu mit jedem Recht. Wenn er schon die Launen seiner Frau fürchtete, um wie viel mehr musste sie dann die seinen fürchten?
Es hörte sich an, als würde ein Riegel zurückgeschoben, dann ging die Tür auf. Einer der Revolutionäre kam mit einem Tablett herein, auf dem zwei Schüsseln standen, gefolgt von einem missmutig dreinblickenden Kind, das zuvor noch die Ponys weggeführt hatte.
»Hier ist etwas zu essen«, sagte der Mann unfreundlich und stellte das Tablett so unsanft auf dem Tisch ab, dass die dicke braune Suppe über den Rand der Schüsseln schwappte. »Seien Sie nett zu dem Mädchen, oder es kostet Sie den Kopf.«
»Bekommen wir eigene Zimmer?«, fragte Alcy und setzte sich auf.
»Seien Sie froh, dass Sie etwas zu essen bekommen«, sagte der Mann und starrte Dumitru finster an.
»Die Lady benötigt zum Schlafen andere Kleider«, erklärte Dumitru ruhig.
Der Mann schnaubte nur, ging hinaus und ließ das Kind zurück.
Alcy betrachtete einen Moment lang die Suppe, dann hob sie den Blick. »Du hast drum gebeten, nicht wahr?«
»Ja. Du musst essen.« Er lächelte matt. »Und ich habe auch Hunger.«
Alcys Lächeln war sehr zaghaft, aber er fühlte sich, als er es sah, so gut wie schon lange nicht mehr. Sie waren noch nicht wieder vereint, aber es herrschte zumindest Waffenstillstand.
Die beiden aßen schweigend. Alcy löffelte die heiße Suppe fast so schnell aus wie er, und ihre erschreckende Blässe wich langsam einer annähernd normalen Gesichtsfarbe. Dumitru schickte das Mädchen los, um Decken, saubere Kleider und Waschwasser zu holen. Die Kleine kehrte rasch mit allem zurück, und ihm entging nicht, dass die Tür nicht verschlossen war. »Sag mir eines«, knurrte er auf Serbisch, »was sollte mich daran hindern, dich als Geisel zu nehmen und uns freizupressen?«
»Mein Vater sitzt mit einem Gewehr draußen vor der Tür«, sagte das Mädchen tapfer. »Er traut Ihnen nicht.«
»Ist auch besser so«, antwortete Dumitru. Auch wenn er einem Kind nie etwas zuleide getan hätte, war nun auch diese Gelegenheit vertan, sich seinen Weg nach draußen zu verschaffen, indem er das Mädchen ins Bockshorn jagte.
»Mein Vater hat gesagt, dass ich jetzt gehen muss«, setzte die Kleine hinzu. »Er sagt, wenn Sie noch etwas wollen, dann sollen Sie morgen früh fragen.« Und damit griff sie nach dem Tablett und war auch schon verschwunden.
Alcy sah resigniert die Tür an, während der Riegel ins Schloss fiel. »Sie kommt nicht wieder, oder?«
»Nicht heute Abend«, sagte Dumitru.
»Aber ich
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