Nacht des Verfuehrers - Roman
hatte man nicht gefesselt; sie hatte zu Mittag bloß ein paar Bissen gegessen. Die Männer hatten genug von ihren Reitkünsten gesehen und wussten, dass sie nicht auf und davon galoppieren würde, selbst wenn ihr Pferd dazu in der Lage gewesen wäre. Aber es war nur ein knochiges, struppiges Pony, das mit Raisins prächtigem, wenn auch immer noch nassem Damensattel auf dem Rücken ein eher lächerliches Bild abgab.
Alcy setzte sich Dumitru gegenüber ans Lagerfeuer, so weit wie möglich von den Hajduken und den drei Revolutionären entfernt. Das verschnittene Haar lockte sich um ihr Gesicht, während sie abwechselnd an ihrem Essen knabberte und ins Feuer starrte. Es tat ihm weh, sie zu sehen, und er wusste nicht, ob der Schmerz seiner Wut entstammte, seiner Lust oder womöglich etwas weit Komplizierteres war.
Nach dem Abendessen legten die Hajduken ihren Gefangenen zwei Strohsäcke hin, nur eine Armeslänge voneinander entfernt. Dumitru fragte sich, ob das ein Scherz
sein sollte, und wenn ja, auf wessen Kosten: auf seine oder die seines angeblichen Opfers? Er legte sich kommentarlos nieder, aber Alcy betrachtete ihren Strohsack mit frustrierter Miene. Der Hajduken-Anführer machte einen rüden Vorschlag, und sein Übersetzer rief auf Deutsch: »Fräulein, wenn sie glauben, dass sie es unter unseren Decken wärmer haben, als allein auf dem Strohsack -«
»Nein«, schnappte sie. Zu ihrer Ehrenrettung musste gesagt werden, dass sie weder die Farbe wechselte noch die Kerle finster anstarrte, als sie in lautes Gelächter ausbrachen. Sie legte sich einfach steif hin und würdigte ihn keines Blickes, als sie die Decke hochzog. Steif – sie hatte zweifelsohne wieder ihr lächerliches Korsett mit der winzigen Taille an, denn schließlich trugen sie beide wieder ihre eigene Kleidung.
Es war das Reitkostüm, das sie bei ihrer Ankunft in Severinor getragen hatte, stellte er verblüfft fest, als er ihren Rücken betrachtete. Es war kaum wiederzuerkennen. Die modische Schleppe war auf Knöchelhöhe abgeschnitten – mit seinem Messer, wie er vermutete. Und die Seide hatte so viele Flecken vom Flusswasser und vom Schlamm, dass sie eher braun war als grau. Ein Stück Goldborte hatte sich vom Oberteil gelöst und baumelte erbärmlich herunter, und unter dem Arm befand sich ein Riss, wo sie die tief angesetzten Ärmel über Gebühr gedehnt hatte. Sie sah mitleiderregend aus, ein Schatten der untadeligen Debütantin, die auf Severinor eingetroffen war, so verängstigt und erschöpft sie damals auch gewesen sein mochte. Sie hatte eine solche Kraft verströmt, dass er gar nicht bemerkt hatte, wie sehr die Reise sie angestrengt hatte, wie brutal sie für eine Frau ihrer Herkunft gewesen sein musste. Er hatte
auch nicht begriffen, wie verstört sie jetzt war hinter ihrer Maske aus versteinertem Hochmut. Er verspürte unwillkürlich einen ersten Anflug von Mitleid.
»Du brauchst deines Schamgefühls wegen nicht die ganze Nacht lang zu leiden«, sagte er leise auf Englisch, damit die Banditen und die drei Revolutionäre es nicht verstanden.
»Was?«, sagte sie und drehte sich zu ihm um – ein Reflex, wie er vermutete, denn sie senkte sofort mit schmerzverzerrter Miene den Blick.
»Ich helfe dir morgen Früh, diesen Apparat wieder zuzuschnüren, wenn du es dir die Nacht über bequem machen möchtest.«
»Nein«, kam die Antwort postwendend, weder verächtlich noch abweisend, aber dennoch unmissverständlich.
Dumitru sah sie stirnrunzelnd an, vermochte ihr aber nicht in die niedergeschlagenen Augen zu sehen, und betrachtete stattdessen den dichten schwarzen Wimpernrand. »Ich habe weit intimere Stellen an dir berührt als dein Korsett, Alcyone.«
»Nein«, wiederholte sie, doch ihr Tonfall hatte sich verändert. »Es ist jetzt alles ganz anders.« Beim letzten Wort brach ihr die Stimme. Und als sei dieses Zeichen der Schwäche ein Sprung, durch den all ihre Zweifel entfliehen könnten, sagte sie: »Was soll aus uns werden?« Sie sah ihn an, und die Angst in ihren Augen schlug sich ihm auf den Magen. »Was wird mit dir geschehen? Diese Männer haben so erfreut ausgesehen, nachdem sie herausgefunden hatten, wer du bist, und das hat mir Angst gemacht -«
Dumitru schnitt ihr das Wort ab. »Ich weiß nicht«, sagte er tonlos. Der serbische Prinz würde diese drei Revolutionäre
wie Kinder dastehen lassen, die beim großen Politikspiel mitmachen wollen, aber einen benachbarten Herrscher würde er zweifelsohne als nützliches Instrument
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