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Nacht des Verfuehrers - Roman

Nacht des Verfuehrers - Roman

Titel: Nacht des Verfuehrers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce Gabi Langmack
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sie in Leeds das stille Leben einer alten Jungfer führen, und falls sie sich doch wieder verheiraten musste, um den gedeihlichen Fortbestand von Carter Manufactories zu sichern, konnte sie sich mit Ezekiel Macgregor bestimmt auf ein entsprechendes Arrangement einigen, so inakzeptabel sein erster Heiratsantrag auch gewesen sein mochte. Er hatte ihr in einem Anfall aus Selbstbetrug und Phantasterei die Rolle der guten Hausfee zuschieben wollen, aber er war ein vernünftiger Mann und würde auch einem gänzlich anderen Arrangement zustimmen; schließlich war er Alcy, die einmal eines der größten Vermögen in ganz England erben würde, zärtlich zugetan. Er war nicht von Adel, aber nun gut, Alcy hatte den Adel ohnehin satt. Eines wollte sie allerdings durchaus noch: ein Dasein ohne die ständige Einmischung eines Ehemannes.
    Doch tief im Herzen wusste sie auch, dass sie eine Art Ehebruch beging, wenn sie einen anderen heiratete, egal, wie viele Annullierungsurkunden von wie vielen Kirchen
sie vorweisen konnte. Ob sie nun orthodox, anglikanisch oder presbyterianisch war – wie ihre Familie es in ihren Kindertagen gewesen war -, eines stand fest: Sie war mit Dumitru Constantinescu von Severinor verheiratet, und sie würde, bis einer von ihnen beiden starb, mit ihm verheiratet bleiben.
    Am nächsten Morgen hatte Alcy krampfartige Schmerzen im Unterleib, war benommen und schwerfällig und spürte einen pochenden Schmerz im Hinterkopf, als sie aus dem Wald ritten und sich vor ihnen eine Stadt erstreckte.
    Das Flickwerk aus Feldern und Dörfern dehnte sich vor ihnen aus, um sich zusammenzuschieben, bis es schließlich nur noch aus Dörfern bestand. Alcy bemerkte, je weiter sie kamen, zunehmende Anzeichen von Wohlstand: Die Bauten sahen mehr wie richtige Häuser aus, weniger wie Hütten; dazu hübsche kleine Gärten und Gebäude, die keine Wohnhäuser mehr waren, sondern reine Werkstätten oder Tavernen; und dazwischen hin und wieder ein Herrenhaus, das über den Nachbarhäusern thronte.
    Schließlich erreichten sie Belgrad mit seinen gepflasterten Straßen und Häusern, die fast westlich anmuteten: mediterran rot gedeckte Dächer, griechisch inspirierte Fassaden mit fremdartigen osmanischen Ornamenten. Vor ihnen erhob sich das hohe braune Gemäuer einer altertümlichen Festung über die umstehenden Gebäude. Alcy beäugte sie nervös, ein ungutes Flattern im Magen. »Ich möchte da lieber nicht hinein, glaube ich«, sagte sie zu Dumitru.
    Er lachte auf. »Den Wunsch bekommst du erfüllt. Das Fort ist voller osmanischer Soldaten, ein Stachel im Fleisch
des Prinzen, der Stolperstein seiner Ambitionen. Er und seine Familie haben ihre Sommerresidenzen auf dem Land, und er bewohnt hier in der Stadt eine andere Residenz, zu der man uns jetzt bringen wird, wie ich vermute.«
    Dumitru hatte Recht. Eine Minute später bogen ihre Häscher mit ihnen in eine Straße mit imposanten Gebäuden ein, um schließlich vor einem anzuhalten. Der Anführer stieg ab und sprach kurz mit dem Wachposten am Tor, der daraufhin verschwand. Alcy wollte etwas sagen, um die angespannte Stille zu durchbrechen, aber es gelang ihr nicht, ihren Verstand zu einer zusammenhängenden Formulierung zu bewegen.
    Der Wachposten kehrte zurück und beorderte sie hinein. Alcy hatte keine Gelegenheit, die prachtvolle Eingangshalle zu würdigen, weil ein paar von den Revolutionären und mehrere Wachen des Prinzen sie in einen Flur abdrängten – fort von Dumitru. Sie erheischte einen letzten Blick auf ihn. Er starrte gebannt etwas an, das außerhalb ihres Blickfelds lag. Dann zog man sie um eine Ecke, und es ging eine Treppe hinauf, wo sie sanft, aber mit Nachdruck in ein Zimmer bugsiert wurde. Die Wachen zogen sich zurück, doch das Klicken des Türriegels ließ keinen Zweifel daran, dass man sie eingesperrt hatte. Da sich keine andere Betätigung fand, studierte sie ihre Umgebung.
    Man hatte sie in einen Salon im Obergeschoss gesteckt, der nach französischer Mode ausgestattet und erdrückend konventionell war. Nichts verhieß Exotik. Um es genauer auf den Punkt zu bringen: Nichts deutete auf die geringste Fluchtmöglichkeit hin. Aber vielleicht konnte sie ja den Spiegel zerbrechen, der die eine Wand dominierte, und die
Scherben dazu benutzen, den Vorhang in Streifen zu schneiden und dann …
    Sie näherte sich dem Spiegel ohne große Hoffnung. Ihr Spiegelbild ließ sie wie angewurzelt stehen bleiben. Das Haar stand in einem wirren zerzausten Berg ab. Ihr Gesicht war

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