Nacht des Verfuehrers - Roman
mir auch sein könnten, ich vermag mir nicht vorzustellen, dass irgendjemand – die Russen nicht, die Österreicher nicht, die Türken nicht – darüber erfreut wäre, wenn Ihr Wissen alleine mir zur Verfügung stünde. Die Frage ist also: Was soll ich stattdessen mit Ihnen anstellen?«
Alcy stand erstarrt da, während der Prinz sie beide in aller Ruhe musterte.
»Österreich ist es egal, ob ich Sie mit einer Verbeugung und einem Begleitschreiben an Wien ausliefere, denn so weit von Ihrem Netzwerk entfernt sind Sie nutzlos. Auch
Russland würde ein solches Geschenk kaum kümmern«, sagte der Mann. »Aber die Türkei … ah, die Türkei, das ist eine völlig andere Sache. Ich habe dem Sultan schon seit Jahren kein Geschenk mehr gemacht, und ich weiß, dass Sie ihm seit langer Zeit ein Dorn im Auge sind. Die Frau gehört jetzt Ihnen, und da Sie zum Sklaven des Sultans werden, wird auch sie zur Sklavin werden.« Er lächelte sie beide an, kalt und gerissen wie eine Schlange. »Abgesehen davon wäre die Geschichte ohne sie nicht komplett, und der Sultan weiß gute Geschichten genauso zu schätzen wie ich.«
Dumitru deutete eine Verbeugung an. »Wie Sie wünschen.« Tonfall und Miene waren absolut neutral, doch Alcy sah die Verspannung in seinen Schultern und den zarten Grauton auf seinem Gesicht. Ihr Herz stockte vor Angst.
»Ja«, erwiderte der Prinz trocken. »So entspricht das exakt meinen Wünschen. Die Frau wird die Nacht hier verbringen, aber für Sie ist das Gefängnis gut genug. Vielleicht lehrt eine Nacht auf kaltem Stein Sie ja etwas mehr Respekt.« Sein Mund verzog sich zu dem ersten Lächeln, das Alcy an ihm gesehen hatte. »Auch wenn ich meine Zweifel hege.« Er wechselte abrupt die Sprache, und vier von den uniformierten Männern schafften Dumitru weg. Er erheischte noch einmal Alcys Blick, bevor sie ihn durch die Tür schoben, aber es ging zu schnell, als dass sie seine Miene hätte lesen können.
Die kleine Zofe und der Diener brachten Alcy fort. Das machte gerade zwei Bewacher, eine davon eine Frau, kleiner als sie. Während sie durch das Gewirr der Gänge steuerten, erwog Alcy loszulaufen. Sie konnte diesen Gang
hinunterstürzen … Und was dann? Man würde sie innerhalb von einer Minute wieder eingefangen haben.
Nein, ein Fluchtversuch würde alles zunichtemachen, was Dumitru zu ihrer Rettung getan hatte … das hatte er doch? Was war der Zweck dieser neuen Variante der Geschichte gewesen? Sie hatte Alcy vor einer Kerkerhaft oder gar vor einer Vergewaltigung bewahrt – und sie hatte Dumitru wie einen Narren dastehen lassen, einen harmlosen Narren, der über eine Frau mit weichem Verstand und weichem Körper gestolpert war. Doch jetzt schickte man sie beide nach Konstantinopel zum Sultan, und sie wusste nicht, ob Dumitru sie damit nicht in noch größere Gefahr gebracht hatte. Sie hatte Dumitru nie zuvor so erlebt – hatte sich noch nie Gedanken gemacht, wieso man ihn als gerissen bezeichnete, wie der Knez es getan hatte. Auch hatte sie nicht viel darauf gegeben, dass man ihn als Spion tituliert hatte; sie hatte es als haltloses Gerücht abgetan. Erst jetzt fiel ihr der kurze, rückblickend mysteriöse Besuch von Nikolai Iwanowitsch wieder ein, dieses russischen »Diplomaten«, und sie fragte sich, ob Dumitru nicht tatsächlich in das Große Spiel verwickelt war. Bei dem Gedanken wurde ihr schrecklich kalt, denn wenn er mehr als nur ein widerspenstiger Landgraf war, dann hatte er vom Sultan auch mehr zu befürchten.
Ich werde stark sein, sagte sie sich. Ich muss stark sein. Und sie straffte die Schultern und folgte ihren Bewachern hoch erhobenen Hauptes.
Kapitel 17
Als sie Belgrad am nächsten Morgen verließen, waren Dumitrus Augen noch klebrig vor Müdigkeit. Nachdem der Prinz ihn im Stadtgefängnis kurz in eine Zelle geworfen hatte, hatte er einen Sinneswandel vorgegeben und ihn zum Abendessen zu sich bringen lassen. Obrenovi hatte ihn die halbe Nacht lang wach gehalten und den kapriziösen Gastgeber gemimt, ihm in Wirklichkeit aber so viele Informationen, wie nur möglich, entlocken wollen.
Dumitru hatte Müdigkeit vorgeschützt, obwohl seine Nerven vibriert hatten. Er hatte so getan, als rutsche ihm das eine oder andere heraus, während er in Wirklichkeit nur Lügen aufgetischt hatte, die mit einem dünnen Zuckerguss aus Wahrheit verziert waren. Nicht dass irgendeine dieser Informationen Obrenovi weitergeholfen hätte. Der Prinz wusste längst, dass Serbien einmal mehr am Rande einer
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