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Nacht des Verfuehrers - Roman

Nacht des Verfuehrers - Roman

Titel: Nacht des Verfuehrers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce Gabi Langmack
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schmutzverschmiert. Das Kleid war voller Schlammflecken, irreparabel zerrissen und sah wie das abgelegte Kleidungsstück eines Bettlers aus, nicht wie das Gewand einer Lady.
    Das Gesicht, das ihr aus dem Spiegel entgegenstarrte, blickte so verblüfft drein, dass sie zu lachen begann. Und kaum hatte sie angefangen, konnte sie nicht mehr aufhören. Lauter und lauter wurde das Gelächter, bis die Tränen, die ihr übers Gesicht strömten, schmale saubere Streifen in den Schmutz gewaschen hatten.
    »Fräulein?«
    Alcy zuckte zusammen, und ihre Hysterie fand ein abruptes Ende. Sie wirbelte herum und sah ein kleines Dienstmädchen an der Tür stehen.
    »Ja?«, erwiderte sie und sammelte sich.
    Das Mädchen sprach mit schwerem Akzent auf Deutsch weiter: »Mein Name ist Dejana. Wir haben Ihnen Badewasser gebracht, saubere Kleider und ein paar Erfrischungen.« Sie nickte hinter sich, wo eine ganze Armee aus Zofen stand, alle schwer beladen.
    »Gut«, sagte Alcy und kam sich lächerlich vor. »Ich glaube, ich muss mich dringend waschen.«
    Eine halbe Stunde später war sie ein neuer Mensch. Sie hatte ein hinreißend warmes Bad genommen, man hatte ihr das Haar gewaschen, gekämmt und am Ofen getrocknet. Die Zofe hatte eine halbe Stunde damit verbracht, es
zu schneiden und zu frisieren, und sie hatte dabei so lange verzweifelt gejammert, bis sie endlich zufrieden war. Alcy schaffte es, den Beutel mit den Talern aus dem alten in das neue Korsett zu schmuggeln, das die Zofen ihr gebracht hatten. Sie wurde von Kopf bis Fuß neu eingekleidet und behielt ihre Schuhe nur, weil keines der mitgebrachten Paare ihr passen wollte. Das französische Abendkleid, für das sie sich entschied, war aus dunkelblauer Seide, akzeptabel geschnitten, wenn auch nicht gerade exquisit. Aber der feine Stoff glich den Mangel an Schnittführung aus.
    Als die Zofe fertig war, sah Alcy wundersamerweise wieder halbwegs wie die Frau aus, die vor über einem halben Jahr England verlassen hatte. Ein bisschen dünner vielleicht, aber das war auch schon alles. Es mochte sonderbar, ja sogar falsch sein, doch sie fühlte sich nicht im Mindesten mehr wie das aufgeregte, unschuldige, romantische Mädchen, das sie einst gewesen war. Selbst ihre Angst hatte einen anderen Beigeschmack. Damals war sie neu, nebulös und stechend gewesen, jetzt war sie ihr so vertraut wie ein altes Gebrechen.
    Als Dejana die letzte Haarnadel an ihren Platz steckte, klopfte es an die Tür. Die Zofe gab Antwort, die Tür ging auf, und ein Diener in westlichem Anzug trat ein. Nach einer kurzen Unterredung mit der Zofe verschwand er wieder.
    »Es ist Zeit zu gehen«, sagte die Zofe auf Deutsch.
    Die flattrige Nervosität, die während der Toilette fast verschwunden war, regte sich wieder. Alcy erhob sich und folgte der Zofe aus dem Zimmer und durch die verschiedensten Gänge, bis sie schließlich eine Art Staatsstudierzimmer erreichte – anders hätte sie es nicht beschreiben
können, denn es war so groß wie ein Ballsaal und wie eine Mischung aus Salon und Regierungskabinett möbliert.
    Ein grauhaariger Mann mit einem netten kleinen Schnauzbart saß hinter dem Schreibtisch, der den ganzen Raum beherrschte. Der Mann trug eine scharlachrote Uniform mit Goldtressen. Sicher Prinz Obrenovi. Er hatte eine rote Nase und verschlagene Augen, und trotz der Ausdruckslosigkeit, mit der er sie betrachtete, überlief Alcy ein kalter Schauder. Die Männer, die ihn umstanden, trugen westliche Anzüge oder eine Variante der Prinzenuniform. Der Kontrast zwischen den nüchtern, zurückhaltenden Tagesanzügen und der rot-goldenen Dekadenz ergab einen Effekt, der einfach nur verquer anmutete.
    Sie riskierte einen Blick durch den Saal und sah Dumitru an der Seitenwand stehen, finster und reglos, in einem neuen englischen Anzug und unglaublich gut aussehend. Er hatte sich rasiert, sein Haar war kurz geschnitten und mit Öl zurückgekämmt, was seinen muskulösen Hals ungewohnt nackt aussehen ließ. Alcy fiel ein, was sie vor kaum zwei Monaten zu ihm gesagt hatte, und doch schien es ein ganzes Leben her. Dass er sich die Haare schneiden konnte, wie er wollte, solange er sich nur das Kinn rasierte. Ob er sich daran erinnert hatte? Ihr Herz zog sich ein klein wenig zusammen, als er ihr in die Augen sah, und sie sah einen Schmerz über sein Gesicht huschen, der das Spiegelbild ihres eigenen war.
    Prinz Obrenovi hatte sich nicht erhoben, als Alcy hereingekommen war, und eigentlich hatte sie beschlossen, ihn gleichfalls

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