Nacht in Havanna
ihm vorbei ins Wohnzimmer. Vielleicht ein Test auf Lebenszeichen, dachte er. Das Kleid war dünn und betonte ihren schlanken Körper und die dunklen Spitzen ihrer Brüste, und wenn er ein normaler Mann wäre, würde er eine gesunde Lust empfinden. Er spürte tatsächlich ein erstes Regen, als er ihren Atem an seinem Hals fühlte und den Mandelduft ihres schwarzseidenen geflochtenen Haars roch. Ihre blasse Haut ließ ihre Lippen noch röter erscheinen.
»Kein Fehler«, wiederholte Isabel. »Ich habe Sie gebeten, etwas für mich zu tun. Ein fairer Handel. Gordo bewahrt den Rum über dem Waschbecken auf.«
»Ich dachte, Gordo sei der Name für die Schildkröte.«
»Für beide, Sergej und die Schildkröte.«
»Wie nennen Sie George Washington Walls?«
»Ich nenne ihn passe. Ich habe einen neuen Freund, no?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, wer das sein sollte.« Isabel strich über den Mantel, der über einer Stuhllehne hing, und sagte, als er ihre Hand wegzog: »Entspann dich. So ein seltsamer Mann, aber ich mag dich.« Sie fand den Rum selbst und spülte zwei Gläser aus. »Ich mag starke Männer.«
»Das bin ich nicht.«
»Laß mich das beurteilen.« Sie reichte ihm ein Glas. »Ich weiß, daß du von meinem Vater gehört hast.«
»Ich habe gehört, daß es eine Verschwörung gegeben hat.«
»Das stimmt. Es gibt immer eine Verschwörung. Jeder klagt, und er…« Sie wies auf ihr Kinn, »…läßt sie gewähren, solange sie nicht wirklich etwas tun. Solange sie sich nicht organisieren. Trotzdem gibt es jedes Jahr eine Verschwörung und bei jeder Verschwörung ein gesundes Verhältnis von Verschwörern und Informanten. So funktioniert die kubanische Demokratie, und so werden wir eines Tages unser Wahlrecht ausüben, wenn selbst die Spitzel beschließen, daß es reicht, und die Klappe halten und unser Land erlöst sein wird.« Sie fuhr mit dem Finger über Arkadis Wange. »Aber noch ist es nicht soweit, denke ich. Dies ist der erste Ort auf der Welt, an dem die Zeit nicht existiert. Menschen werden geboren und sterben, ja, aber die Zeit verstreicht nicht, weil die Zeit frische Farbe, neue Autos und Kleider verlangt. Oder vielleicht auch einen Krieg oder beides. Aber nicht diesen Zustand zwischen Leben und Tod, der weder das eine noch das andere ist. Du trinkst ja gar nichts.«
»Nein.« Isabel und Alkohol waren das letzte, was er brauchte. »Darf ich?« Sie nahm eine Zigarette. »Ja, sicher.«
»Mein Vater hat sich überhaupt nur auf den Staatsstreich eingelassen, weil seine russischen Freunde ihm versichert haben, daß er ihre volle Unterstützung habe.«
»Er hätte es besser wissen müssen.«
»Ich glaube, ich treffe eine klügere Wahl.« Sie inhalierte, als wollte sie den Rauch bis in die Zehenspitzen ziehen, blies ihn wieder aus und fuhr mit ausgebreiteten Armen herum, so daß ihr Kleid an ihrem Körper haftete und der Rauch ihr hinterher wehte. »Ich glaube, wir sind die besten. Englische Tänzer sind zu steif, die Russen sind zu ernst. Wir haben das Niveau, aber gleichzeitig werden wir schon mit Musik geboren. Es gibt keine Grenzen, wenn ich erst meinen Brief und mein Ticket habe.«
»Der Brief ist noch nicht gekommen.«
»Er wird kommen. Er muß. Ich habe George erzählt, daß wir darüber nachdenken würden, gemeinsam zurück nach Moskau zu fliegen.«
»Sie und ich?«
»Ja, wäre das nicht das einfachste?« Isabel lehnte sich an den Mantel, und Glut von ihrer Zigarette fiel auf den Ärmel. »Bist du verheiratet?«
Arkadi klopfte die Glut ab und packte Isabel am Handgelenk. Es war ein schlankes, geschmeidiges Handgelenk, aber er führte sie trotzdem zur Tür. »Es ist spät. Ich verspreche, daß ich Ihnen Bescheid gebe, wenn etwas für Sie ankommt.«
»Was machst du?«
»Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.«
»Ich bin noch nicht fertig.«
»Aber ich.«
Er schob sie hinaus. Im trüben Licht des Hausflurs sah sie plötzlich aus wie eine zerdrückte Motte. Er schloß leise die Tür hinter sich.
»Du mieser Dreckskerl!« rief sie von draußen. »Du Wichser, cono. Genau wie dein Freund Sergej. Der wollte immer nur über diese alberne Verschwörung reden, die meinen Vater das Leben gekostet hat. Du bist genauso, noch ein maricon. El bollo de tu madre.«
Arkadi schob den Riegel vor. »Tut mir leid. Ich spreche kein Spanisch.«
Er hatte wirklich eine erstaunliche Art, mit Frauen umzugehen, dachte er, ein echter Charmeur. Er wickelte sich in seinen Mantel und zitterte. Warum war auf Kuba
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