Nacht in Havanna
allen warm außer ihm?
Es war Mitternacht, und Dunkelheit hatte sich der Stadt bemächtigt, als Arkadi gerade nicht hingesehen hatte. Ein von Luna arrangierter Stromausfall, oder dehnte sich seine Phantasie im Dunkeln aus? Auf dem Malecon gab es keine Straßenlaternen, nur ein paar blasse Autoscheinwerfer wie die leuchtenden Fische, die man in Meeresgräben antrifft. Obwohl er die Fensterläden schloß und eine Kerze anzündete, sickerte eine kompakte, zähe Dunkelheit ins Zimmer.
Lautes Autohupen weckte ihn. Es hörte nicht auf, bis er die Balkontür öffnete und sah, daß der Morgen schon vor Stunden begonnen hatte. Das Meer war ein heller Spiegel des weiten Himmels, an dem die Sonne so hoch stand, daß die Schatten zu kleinen Tintenklecksen geschrumpft waren. Auf der anderen Seite des Malecon zupfte ein Junge kleine silbrige Köder aus einem Netz und warf sie einem Partner zu, der mit einer Angelrute auf der Mole stand. Ein anderer Junge nahm auf dem Bürgersteig Fische aus und warf ihre Eingeweide einer schwebenden Möwe zu. Direkt unter dem Balkon stand eine stromlinienförmige Wolke aus Chrom und Lack. Hemingways Chrysler-Imperial-Cabriolet, am Steuer George Washington Walls, neben ihm John O’Brien mit Golfmütze und Hawaiihemd.
»Schon vergessen!« rief Walls nach oben. »Wir wollten über eine mögliche Anstellung reden und Ihnen einige der berühmten Lasterhöhlen zeigen.«
»Können Sie mir das nicht einfach erzählen?«
»Betrachten Sie uns als Ihre persönlichen Führer«, sagte O’Brien. »Stellen Sie sich vor, es wäre eine große Stadtrundfahrt.« Arkadi musterte Walls auf Anzeichen, daß Isabel ihren mitternächtlichen Besuch gemeldet, und O’Brien auf eine Andeutung, daß ihn die Nachricht über die Unterlagen der AzuPanama via Osorio schon erreicht hatte, doch nur strahlende Jacketkronen und dunkle Brillen blitzten ihm entgegen. Eine Anstellung in Havanna? Das mußte ein Witz sein. Aber wie konnte er sich eine Gelegenheit entgehen lassen, mehr über die AzuPanama und John O’Brien zu erfahren? Was sollte einem überdies in Hemingways Wagen schon passieren? »Geben Sie mir eine Minute.«
In der Schreibtischschublade lagen Briefumschläge. In einen von ihnen steckte Arkadi all seine weltbewegenden Indizien: Rufos Hausschlüssel, Pribludas Autoschlüssel, die Unterlagen über die AzuPanama und das Foto des Havana Yacht Club. Arkadi klebte sich den Umschlag ins Kreuz und zog sein Hemd und seinen Mantel über: ein Mann, der für alle Gelegenheiten und Klimazonen gerüstet war.
Der Wagen fuhr sogar wie eine Wolke, die Haut klebte an den warmen Polstern. Selbst auf dem Rücksitz bemerkte Arkadi die Dreigangautomatik mit Tastenwahl. Wer könnte so etwas übersehen? Sie sausten über den Malecon, während Walls über andere berühmte Autos plauderte, Fidels Faible für Oldsmobiles und Ches 60er Chevrolet Impala.
Arkadi blickte sich um. »Haben Sie Luna gesehen?«
»Der Sargento ist nicht mehr mit uns assoziiert«, sagte Walls.
»Ich glaube, der Mann ist ziemlich unausgeglichen«, meinte O’Brien.
»Luna ist ein total durchgeknallter Scheißkerl«, meinte Walls. Er schob seine Sonnenbrille in die Stirn und sah Arkadi mit seinen blauen Augen an. »Wann werden Sie endlich diesen Mantel ablegen?«
»Man kommt sich vor, als würde man mit dem alten Abe Lincoln rumkutschieren«, sagte O’Brien. »Ehrlich.«
»Wenn mir warm wird.«
»Lesen die Russen Hemingway?« fragte Walls.
»Er ist sehr populär bei uns. Jack London, John Steinbeck und Hemingway.«
»Als die Schriftsteller noch Raufbolde waren«, sagte O’Brien. »Ich muß jedesmal an Der alte Mann und das Meer denken, wenn ich die Fischerboote ausfahren sehe. Ich habe das Buch geliebt und den Film auch. Spencer Tracy war großartig. Er spielt zwar den Iren überzeugender als den Kubaner, aber großartig.«
»John liest alles«, sagte Walls.
»Filme liebe ich auch. Wenn ich Heimweh bekomme, lege ich mir ein Video ein. Capra, Ford, Minnelli.«
Arkadi dachte an den Vizekonsul Bugai und den Einzahlungsbeleg über fünftausend Dollar auf seinen Namen bei O’Briens panamaischer Bank.
»Haben Sie auch russische Freunde hier?«
»So viele Russen sind gar nicht mehr übrig. Aber ich muß zugeben, daß ich sie vorsichtshalber meide.«
»Parias«, sagte Walls.
»Die russische Mafia würde liebend gern hier Fuß fassen. Sie sitzen schon in Miami, Antigua und auf den Caymans, also gleich nebenan, aber Russen sind bei Fidel ein derart
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