Nacht in Havanna
es um ein anständiges Angebot von Dollarwaren aus den Diplomatenläden ging. Als die Botschaft alle nach Hause geschickt hat, haben wir Zurückgebliebenen eine schwere Last übernommen.« Gegen einen angemessenen Anteil, dachte Arkadi. Zehn Prozent? Zwanzig? Doch es wäre vulgär gewesen, eine derart perfekte russische Matrone danach zu fragen.
»Ich bin gleich wieder da«, versprach sie und verschwand im Schlafzimmer, das ein Aroma von Duftkissen verströmte. »Reden Sie mit Sascha!« rief sie durch die Tür. »Er hat gern Gesellschaft.« Auf einer Stange hockte ein Kanarienvogel, der Arkadi auf einen Schwatz hin zu mustern schien. Arkadi warf einen Blick in die Küche. Ein Samowar auf einer Wachsdecke, eine Wachsdecke auf dem Tisch. Ein Kalender mit dem Bild einer nostalgisch verschneiten Landschaft. Salz in einer Schale, Papierservietten in einem Glas. Ein Regal mit blitzenden Gläsern selbstgemachten Gelees, eingelegter Gurken und Bohnensalat. Als Olga Petrowna in Rekordzeit mit ordentlich frisiertem, aschblondem Haar wieder auftauchte, war er bereits zurück im Wohnzimmer.
»Ich würde Ihnen gern etwas anbieten, aber meine kubanischen Freunde werden bald hier sein. Wenn sie Fremde sehen, werden sie nervös. Ich hoffe, es dauert nicht lange. Sie verstehen doch.«
»Natürlich. Es geht um Sergej Pribluda. Bei unserem ersten Gespräch sagten sie, daß einige Frauen von der Botschaft vermutet hätten, daß er sich mit einer Kubanerin eingelassen habe, weil sein Spanisch soviel besser geworden sei.«
Olga Petrowna gestattete sich ein Lächeln. »Sergej Sergejewitschs Spanisch war nie besonders gut.«
»Ich vermute, da haben Sie recht, weil er so russisch war. Russisch bis ins Mark.«
»Wie ich Ihnen gesagt habe, ein >Genosse< im alten Sinn des Wortes.«
»Und je länger ich ermittle, desto deutlicher wird mir, daß die Frau, die er möglicherweise so tief verehrt hat, genauso russisch gewesen sein muß wie er selbst. Meinen Sie nicht auch?«
Während Olga Petrowna weiter nichtssagend lächelte, blitzte so etwas wie Trotz in ihren Augen auf. »Ich denke, schon.«
»Die Anziehung muß geradezu unvermeidlich gewesen sein«, fuhr Arkadi fort. »Vielleicht mit Erinnerungen an die Heimat, einem echten russischen Abendessen und, weil Affären innerhalb des Botschaftspersonals nicht gern gesehen werden, der Notwendigkeit, die Treffen so zu planen, daß sie entweder geheim blieben oder zufällig wirkten. Zum Glück wohnte er weit weg von den anderen Russen, und sie konnte immer einen Vorwand finden, auf den Malecon zu gehen.«
»Durchaus möglich.«
»Aber sie wurden von Kubanern beobachtet.«
Es klopfte. Olga Petrowna öffnete die Tür einen Spalt, flüsterte jemandem etwas zu, schloß die Tür leise, kehrte an den Tisch zurück, bat Arkadi um eine Zigarette und Feuer, nahm einen tiefen Zug, setzte sich und stieß genußvoll den Rauch aus. Mit einer neuen Stimme, die aus der Tiefe ihres Körpers zu kommen schien, sagte sie: »Wir haben nichts Unrechtes getan.«
»Das sage ich auch gar nicht. Ich bin nicht nach Havanna gekommen, um irgend jemandes Leben zu zerstören.«
»Ich habe keine Ahnung, was Sergej gemacht hat. Er hat es nicht erzählt, und ich war klug genug, ihn nicht danach zu fragen. Wir haben uns gegenseitig geschätzt, das war alles.«
»Ich bin sicher, das war genug.«
»Was wollen Sie dann?«
»Ich glaube, daß jemand, der Pribluda so nahestand, der sich um ihn gesorgt hat, bestimmt ein besseres Foto von ihm hat als das, das Sie mir bei meinem ersten Besuch gezeigt haben.«
»Das ist alles?«
»Ja.«
Sie stand auf und kehrte einen Moment später mit einem Farbfoto zurück, das einen sonnengebräunten und glücklichen Oberst Sergej Pribluda in Badehose zeigte, das warme karibische Meer im Rücken, Sand auf den Schultern und mit einem Grinsen, das ihn zehn Jahre jünger aussehen ließ. Für Blas’ Zwecke war das Foto perfekt.
»Es tut mir leid, ich hätte es Ihnen schon vorher gegeben, aber ich dachte, Sie würden bestimmt ein anderes finden, und es ist das einzige gute Bild von ihm, das ich besitze. Bekomme ich es zurück?«
»Ich werde darum bitten.« Er schob das Foto in seine Tasche. »Haben Sie Pribluda je gefragt, was er in Havanna gemacht hat? Hat er Ihnen gegenüber je eine Person oder Unternehmung erwähnt?«
»Männer wie Sergej führen besondere Aufträge aus. Er hätte nie darüber gesprochen, und es ist nicht meine Art, neugierige Fragen zu stellen.«
Gesprochen wie eine
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