Nacht in Havanna
wahre Gläubige, dachte Arkadi und erkannte, wie gut Pribluda und Olga Petrowna zueinander gepaßt hatten. »Sie sind diejenige, die mir aus der Botschaft eine Nachricht nach Moskau geschickt hat, oder? >Sergej Sergejewitsch Pribluda steckt in Schwierigkeiten. Sie müssen sofort kommen.< Das Fernschreiben war nicht unterzeichnet.«
»Ich habe mir Sorgen gemacht, und Sergej hat immer so respektvoll von Ihnen gesprochen.«
»Wie haben Sie das geschafft? Um Nachrichten nach Moskau zu schicken, braucht man doch bestimmt eine Genehmigung!«
»Offiziell, aber wir sind hoffnungslos unterbesetzt. Man verläßt sich darauf, daß ich mehr und mehr Aufgaben übernehme, und in gewisser Weise wird es dadurch leichter, bestimmte Dinge zu erledigen. Und hatte ich recht, oder nicht? Er steckte in Schwierigkeiten.«
»Haben Sie sonst noch jemandem davon erzählt?«
»Wem sollte ich es erzählen? Der einzige echte Russe an der Botschaft war Sergej.« In ihren Augen standen jetzt Tränen. Sie atmete tief ein und blickte zur Tür. »Was die Kubaner nicht verstehen, ist, daß wir, auch wenn wir vielleicht nicht soviel singen und tanzen wie sie, doch genauso leidenschaftlich lieben können, oder?«
»Ja, das können wir.«
Das würde auch Kommissarin Osorio gewiß nie begreifen, dachte Arkadi. Er fühlte sich seltsam erleichtert, der explosiven Mischung aus revolutionärem Eifer und Santeria-Geistern für eine Weile entronnen zu sein, sich in einer solideren Welt zu bewegen, in der eine postsowjetische Romanze über sauren Gurken und Wodka erblühen konnte, in der man Motive in Dollar messen konnte, die Knochen der Toten unter der Erde blieben und Morde einen logischen Sinn ergaben.
Der Anblick eines auftauenden Tiefkühlhühnchens in einer Plastiktüte holte Olga Petrowna auf die Erde zurück. Sie seufzte inbrünstig, drückte ihre Zigarette in einem Aschenbecher aus und verwandelte sich wieder in eine Geschäftsfrau, die das Bild einer netten, ordentlichen und in Würde ergrauten Großmutter im Spiegel überprüfte.
Während Arkadi sich an den wartenden Menschen im Treppenhaus vorbeidrängte, kam Olga Petrowna ein ganz neuer Gedanke. »Vielleicht bin ich auch schon zu lange hier«, rief sie ihm nach, »vielleicht werde ich langsam kubanisch!«
20
Aus Angst, sich einen Platten zu holen, parkte Ofelia den DeSoto in der Nähe der Docks. Havanna war der Hafen, wo die Schatzflotten des spanischen Königreichs ausgerüstet worden waren. Im Lauf der Zeit waren Gold und Silber durch amerikanische Autos und diese wiederum durch russisches Öl ersetzt worden. All das war über die Lagerschuppen eines barrio namens Atares abgewickelt worden, und als es die alte Sowjetunion nicht mehr gab, waren auch Teile von Atares abgestorben. Ein baufälliges Lagerhaus zog das andere zu Boden, welches ein drittes destabilisierte und Stahl und Balken auf die Straßen spuckte, bis sie aussahen wie eine Stadt, die belagert worden war: Haufen zerbröckelten Steins, Girlanden aus verbogenem Stahl, ganz zu schweigen von den Schlaglöchern, der Scheiße und den Eingängen, aus denen durchdringender Uringestank herüberwehte. Ofelia hatte im Rahmen ihrer Ausbildung in Atares das Erstürmen von Gebäuden trainiert und erinnerte sich, wie realistisch sie es empfunden hatte, einen scheinbar Verwundeten durch eine Landschaft des Verfalls zu schleppen. Es war kein Viertel, in das man gern fuhr. Das einzige noch stehende Gebäude war das Centro Russo-Cubano an der Ecke, ein ehemaliges Hotel und geselliger Treffpunkt für sowjetische Schiffsoffiziere. Seine Architektur war einem dreistöckigen Deckhaus nachempfunden, mit Bullaugenfenstern und roten sowjetischen Flaggen aus Glas, die in Höhe der Brücke in die Zementmauern eingelassen waren. Doch das Schiff schien mittlerweile in schwere See geraten und auf Grund gelaufen zu sein. Vor der Eingangstreppe stapelte sich Müll, die eiserne Reling war abgerissen. Ofelia war überrascht, wie leicht sich die Türen öffnen ließen.
Im Innern fielen blasse Lichtstreifen durch die Fenster in eine Lobby. Ein geschwungener Empfangstresen aus kubanischem Mahagoni wurde auf der einen Seite von einem Mädchen aus schwarzem Marmor flankiert, das eine Garbe Zuckerrohr aus Messing schnitt, auf der anderen von einem Matrosen aus Bronze, der ein Netz auswarf. Die Zuckerrohrschnitterin war barfuß mit auf ihren Körper modellierter Arbeitskleidung. Der Matrose trug heroische slawische Züge, und sein Netz quoll über von
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