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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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zwingen sollen, sie mit nach Florida zu nehmen, solange sie ihm mit vorgehaltener Waffe gegenüberstand.
    »Ich möchte dich etwas fragen«, sagte Ofelia. »Bitte, ich lese die Tafel. Zwei Dosen grüne Erbsen pro Familie und Monat. Sie sind bestimmt köstlich. Zucker ist erhältlich. Wenn es keinen Zucker mehr gibt, ist das Ende nah.«
    »Über saure Gurken.«
    »Ich sehe keine sauren Gurken.«
    »Wo könnte ich welche finden?« Der Ostblock hatte versucht, saure Gurken in Gläsern an Kuba zu verkaufen, aber Ofelia hatte seit Jahren keine mehr gesehen.
    »Hier jedenfalls nicht. Man kann auf dem freien Markt Gurken kaufen und sie einlegen.«
    »In unterschiedlichen Größen?«
    »Eine Gurke ist eine Gurke. Warum sollte irgend jemand eine kleine Gurke kaufen wollen?« An der Theke ließ sich ihre Mutter mit großem Theater ihr Zuteilungsheft abstempeln und verkündete dann lautstark: »Wissen Sie, wenn Sie von Ihren Rationen leben, genießen Sie eine sehr ausgewogene Diät.«
    »Das stimmt«, war eine der Verkäuferinnen dumm genug, ihr zuzustimmen.
    »Man ißt zwei Wochen und hungert zwei Wochen.« Nachdem sie ihren Torpedo abgeschossen hatte, drehte sich ihre Mutter um und segelte Richtung Ausgang, so daß Ofelia unter den starren Blicken der anderen Wartenden mit dem schweren Sack und der Öldose zusehen mußte, wie sie hinterherkam.
    Als sie den Laden verlassen hatten, schlug ihre Mutter ungerührt den Heimweg ein. »Du bist unmöglich«, sagte Ofelia.
    »Das will ich doch hoffen. Diese Insel macht mich verrückt.«
    »Diese Insel macht dich verrückt? Du bist doch nie von dieser Insel heruntergekommen?«
    »Und sie macht mich verrückt. Dazu die Tatsache, daß ich eine Tochter habe, die eine von denen ist.« Ihre Mutter war von der Polizei aufgegriffen worden, weil sie von Tür zu Tür ging und selbstgemachte Kosmetika verkaufte. Man hatte sie natürlich gehen lassen, als sich herausstellte, daß Kommissarin Osorio ihre Tochter war. »Dein Onkel Manny hat mir geschrieben, daß auf der Veranda in Miami ein Schaukelstuhl auf mich wartet.«
    »Aus dem du jeden Abend beobachten kannst, wie aus fahrenden Autos geschossen wird, das hat er mir geschrieben.«
    »In seinem Brief sagt er, daß er Muriel und Marisol nehmen könnte. Er meint, South Beach würde ihnen gefallen. Wir könnten alle zusammen hinfahren, und die Mädchen könnten bleiben.«
    »Wir werden nicht darüber reden.«
    »Miami würde ihnen zu Füßen liegen. Sie sind hübsch, und sie sind hellhäutig.«
    Wie mit einem Messer in einer offenen Wunde konnte ihre Mutter Ofelia mit der Andeutung treffen, daß sie wegen ihrer dunkleren Hautfarbe herausstach, daß sie anders als ihre Töchter und umgekehrt eine lebenslange bittere Enttäuschung für ihre Mutter war. Und Ofelia wußte, daß ihre Mutter die rote Glut auf ihren Wangen sah.
    »Die Mädchen bleiben bei mir. Wenn du nach Miami willst, geh meinetwegen.«
    »Ich sage ja nur, es ist eine neue Welt. Und ein Russe kommt darin wahrscheinlich nicht vor.«
     
    Arkadi ließ sich von Walls und O’Brien ein paar Straßen vor dem Malecon absetzen. Weil er das Gefühl hatte, Luna könnte sich jeden Moment mit einer Machete oder einem Eispickel über die Mole schwingen, hielt er sich, als er den Boulevard erreicht hatte, im Schatten der Kolonnaden, bis er das Haus mit dem dreifarbigen Banner des Komitees zur Verteidigung der Revolution erreichte, an Abuelitas Tür klopfte und ihre Wohnung betrat.
    »Kommen Sie rein.«
    Mit ihm drängte sich ein Lichtstrahl in den beengten Raum und fiel auf die verhüllte dunkelhäutige Heilige Jungfrau und ihre schillernde Pfauenfeder. Der Duft von Zigarren und Sandelholz kitzelte in seiner Nase. Abuelita saß vor der Jungfrau und legte mit ernster Miene Karten aus. Tarot? Arkadi blickte der alten Frau über die Schulter. Patience. Heute hatte sie einen Pullover mit der Aufschrift »New York Stock Exchange« an. Arkadi bemerkte, daß auch die Statue etwas Neues trug, eine gelbe Kette wie die von Kommissarin Osorio.
    »Darf ich?«
    »Nur zu.« Als er die Perlen der Kette berührte, sagte Abuelita: »In der Santeria ist die Jungfrau auch der Geist Ochün, und ihre Farbe ist Gelb wie Honig und Gold. Ochün ist ein sehr erotischer Geist.«
    Das war kaum die treffende Beschreibung für die Kommissarin, dachte Arkadi, doch er hatte keine Zeit, sich in religiöse Fragen zu vertiefen.
    »Ich habe Sie heute morgen in diesem großen weißen Auto wegfahren sehen, dieser Nobelkarosse mit

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