Nacht in Havanna
eines Eckgebäudes zu legen, über das er die Karre vor ein großes Doppelportal schob. Dann hörte Arkadi die Karre über Stein rollen und etwas, das ihn an blökende Ziegen erinnerte.
Er folgte Luna die Treppe hinauf. Offenbar war das Gebäude irgendwie an die Stromversorgung angeschlossen, denn in dem dunklen Gewölbe schimmerte das bernsteinfarbene Licht einer einzelnen, von der Decke herabhängenden Glühbirne. Luna war in den Tiefen des Gebäudes verschwunden; Arkadi hörte die Karre durch einen Flur rumpeln.
Arkadi hatte das Gefühl, ein sowjetisches Mausoleum zu betreten. Unter einer Staubschicht war der Boden mit einem Hammer-und-Sichel-Mosaik bedeckt, dunkle Wandleuchter in Form von roten Sternen säumten die Mauern, Büsten von Marx und Lenin die Galerie, doch statt eines Sarkophags stand in der Lobby ein Lada mit dem Nummernschild 060016: Pribludas Wagen. Aufgelockert wurde die Inneneinrichtung nur von zwei Statuen an beiden Enden eines Empfangstresens aus dunklem Holz. Die schwarze Frau wirkte zu schmächtig, um die Zuckerrohrgarbe zu tragen, die sie geschnitten hatte, während der Weiße ein russischer Supermann war, der gerade die Schätze des Meeres geborgen hatte: Flundern, Krabben und Tintenfische, alles in einem Netz. Ein Klopfen ließ Arkadi erneut zu dem Zwischengeschoß aufblicken. Zwischen Marx und Lenin waren die schmalen Augen mehrerer Ziegen aufgetaucht. Obwohl er in dem Wagen niemanden erkennen konnte, schwankte das Fahrzeug deutlich hin und her, und das war nicht nur eine optische Täuschung aufgrund des schwachen Lichts. Der Schlüssel zu Pribludas Wagen befand sich seit der Autopsie in Arkadis Besitz. Er öffnete den Kofferraum und fand einen Haufen Jutesäcke. Der unterste Sack war schwer und mit einer Kordel zugebunden. Unter dem Geblöke der Ziegen löste Arkadi den Knoten. Kommissarin Osorio hob den Kopf, war jedoch noch zu steif, um aus eigener Kraft aufzustehen. Als er sie aus dem Kofferraum hob, ging die Tür zur Lobby auf, und das Glöckchen einer Ziege bimmelte. Luna war nicht durch die Halle zurückgekommen, sondern durch die Tür, die auch Arkadi benutzt hatte. Diesmal trug der Sargento keinen Baseballschläger, sondern eine Machete. Er sagte irgend etwas auf spanisch, was ihm offenbar enorme Befriedigung bereitete.
Die Kommissarin drückte ihren Mund an Arkadis Ohr. »Meine Pistole.«
Er sah die Makarow im Kofferraum, und während Ofelia sich an seinen Hals klammerte, ergriff er die Waffe und richtete sie auf den Sargento. »Aus dem Weg.«
»Nein.« Luna schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht.« Arkadi zielte über den Kopf des Sargento und drückte ab. Die Mühe hätte er sich sparen können, denn der Hammer klickte ins Leere. Luna zog die Tür hinter sich zu. »Sie müssen irgendwie verrückt sein. Ich bin das Gesetz.«
Arkadi verfrachtete die Kommissarin auf den Beifahrersitz des Wagens und setzte sich selbst hinters Steuer. Ladas waren nicht unbedingt für ihre Kraft bekannt, aber sie sprangen verläßlich an.
Arkadi ließ den Motor an und schaltete das Licht ein. Geblendet blieb Luna einen Moment stehen, bevor er mit zwei Sätzen den Raum durchquerte und mit der Machete auf den Wagen einhieb. Arkadi hatte den Rückwärtsgang eingelegt, so daß der Schlag nur die Kühlerhaube traf, doch Luna riß die Klinge zur Seite und teilte die Windschutzscheibe in zwei undurchsichtige Scheiben aus Sicherheitsglas. Ohne etwas zu sehen, legte Arkadi den Vortwärtsgang ein und hoffte, ein Stück des Sargento zu erwischen, doch er rammte nur den Tresen frontal. Das Rückfenster zersplitterte unter einem Schlag der Machete. Arkadi setzte zurück und riß das Steuer herum, um Luna aus dem Weg zu schleudern. Die Klinge der Machete bohrte sich durch das Wagendach, stieß ins Leere und verschwand wieder. Als Arkadi gerade dachte, der Kubaner würde auf dem Wagen hocken, barsten nacheinander beide Frontscheinwerfer. Eine Leiter stürzte um und krachte auf die Beifahrerseite.
Um etwas zu sehen, riß Arkadi ein kleines Stück der Windschutzscheibe heraus. Die umstürzende Leiter hatte die Glühbirne gestreift, und unter dem schwankenden Licht schwankten auch Ziegen, Statuen und Treppe hin und her. Der Wagen fuhr rückwärts gegen eine der Säulen, so daß die Galerie bebte, schoß wieder nach vorn auf Luna zu, dessen Silhouette durch Glassplitter konturiert wurde. Er verfehlte ihn, doch im Licht der flackernden Birne sah Arkadi eine Fahrbahn aus glitzernden Scherben, die zur Tür
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