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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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dachte an die Statue von dem Zuckerrohr erntenden Mädchen. Das Haar stimmte nicht, war lang und wallend, anstatt drahtig, aber der Gesichtsausdruck stimmte, vor allem die ängstlich und überrascht aufblickenden Augen.
    Auf die Russen war immer Verlaß. Natürlich gab es keinen Ersatzreifen, so daß sich Nut und Bolzen, mit denen er gesichert gewesen wäre, schmerzhaft in ihren Rücken bohrten. Sie wand sich hin und her und versuchte, das Seil, mit dem ihre Arme gefesselt waren, unter den Bolzen zu haken, doch es war, als würde man sich in einem Leichentuch winden.
     
    Die mögliche Identifizierung von Pribludas Leiche deprimierte ihn mehr, als er erwartet hätte. Ursprünglich hatte Arkadi sich nur geweigert, die Leiche zu identifizieren, um die Kubaner zu einer Art Ermittlung zu provozieren, doch jetzt stellte er fest, daß auch er sich auf einer bestimmten Bewußtseinsebene irrational und wider alle Beweise weigerte, den Tod des Obersts zu akzeptieren. Wie konnte ein so harter und häßlicher Mann sterben? Er war ein brutaler Schläger gewesen, doch Arkadi kam sich vor wie sein Einpersonen-Begräbniszug, und sei es nur aus egoistischen Gründen. Sergej Pribluda war der Mensch auf der Welt, den Arkadi am besten kannte, und auf seine Weise eine von Arkadis letzten Verbindungen zu Irina.
    Als er sie in Weiß gehüllt auf der Bahre gesehen hatte, die Haare gebürstet, die Augen nachdenklich geschlossen, den Mund zu einem Lächeln verzogen, hatten die Ärzte ihm versichert, es sei normal zu glauben, ein geliebter Mensch würde noch atmen. Die Kälte kühlte seinen Schweiß. Er erinnerte sich an Puschkins Zeilen über den Liebenden:
    Er kann es kaum ertragen, Wie langsam Stund um Stunde schleicht. Da schlägt es zehn, und mit dem Wagen Hat er im Flug ihr Tor erreicht.
     
    Und es war ein Tor, das sich nie öffnen würde. Er rannte wieder und wieder dorthin, japsend wie ein Schuljunge, um sie noch einmal atmen zu sehen, doch das Tor blieb verriegelt.
    Starben die Menschen an Liebe? Arkadi hatte einen Mann auf einem Fabrikschiff im Beringmeer gekannt, einen Mörder, der sich in eine Hure verliebt hatte, die auf dem Meer gestorben war. Er tilgte sich selbst vom Antlitz der Erde, indem er seine Kleider auszog und durch das Eis sprang. Der Schock des eisigen Wassers auf nackter Haut mußte unglaublich gewesen sein, doch der Mann war enorm kräftig und tauchte immer tiefer, weiter weg vom Licht. Für Mörder, Senatoren, Huren und gute Ehefrauen erwies sich die Liebe nicht als die Lampe am Bug des Schiffs, sondern als das Schiff selbst; und wenn dieses Licht verloschen war, konnte ein Mensch nirgendwo mehr hin, sondern nur noch untergehen.
    Arkadi war kein Experte in Sachen Liebe, doch er war ein Fachmann für den Tod, und er wußte um die Möglichkeit eines relativ schmerzlosen Todes für den Taucher. Was geübte Schwimmer, die in ihren Pools unter Wasser ihre Runden zogen, umbrachte, war nicht ein gewaltsames Ersticken an Wasser, sondern das sanfte Vergessen des Sauerstoffmangels. Am Ende zuckten sie nur ganz sacht, auch wenn ihre letzte, noch wache Gehirnzelle sie glauben ließ, noch immer kraftvoll weiterzuschwimmen.
     
    Ofelia betete. Es gab eine ganze Reihe von Geistern und Heiligen, die ihr helfen könnten, wenn sie nur von ihrer Notlage wüßten. Die süße Yemayä, die die Ertrinkenden rettete. Die sanfte Santa Barbara, die sich von einem Moment zum nächsten in den in Blitze gehüllten Changö verwandeln konnte. Doch Ofelias Schutzgeist war schon immer Ochün gewesen, obwohl er ihr in der Vergangenheit nicht direkt geholfen hatte, wenn man nach ihren Ehemännern ging. Aber nicht die Menschen wählten sich ihre Götter, sondern die Götter erwählten sich ihre Menschen, und Ochün war die nutzlose Göttin der Liebe. Manchmal sah sich Ofelia als kleinen dunklen Fels in einem Strom aus sinnloser Liebe. Was sie aber jetzt brauchte, war ein scharfes Messer. Wenn sie nicht bald aus diesem Kofferraum herauskam, würde sie ersticken, und Blas würde zur Erbauung neuer Bewunderer Hanf faden aus ihrem Rachen ziehen. Allein die Vorstellung, nackt auf dem Untersuchungstisch des Arztes zu liegen, war schon schlimm genug, aber sie hatte selbst schon Leichen gesehen, die ein oder zwei Tage in einem warmen Kofferraum gelegen hatten, und die Erinnerung reichte aus, um das Seil erneut an dem Bolzen zu scheuern, auch wenn sie sich dabei schnitt.
    Sie versuchte an eine Musik zu denken, die ihr einen schwungvollen Rhythmus gab, doch

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