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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Pribluda?«
    »Um es mit der Leiche, die wir aus der Bucht gefischt haben, zu vergleichen, ja. Aber das Foto, das Sie mitgebracht haben, reicht nicht aus, und die russische Botschaft weigert sich, ein anderes zur Verfügung zu stellen.«
    Es entstand eine erwartungsvolle Pause, bis Arkadi sein Stichwort aufnahm.
    »Ich brauche keine diplomatische Note, um die Botschaft aufzusuchen.«
    Blas tat so, als wäre ihm der Gedanke vollkommen neu. »Wenn Sie wollen. Die Revolution braucht ständig Freiwillige. Ich kann Ihnen die Adresse der Botschaft aufschreiben, und für zwei Dollar wird Sie wahrscheinlich jedes Auto, das Sie auf der Straße sehen, hinfahren. Wenn man amerikanische Dollar hat, ist es das beste Verkehrssystem der Welt.«
    Die Gabe des Arztes, alles in rosigem Licht zu sehen, beeindruckte Arkadi. Er wandte sich wieder dem Bildschirm zu. »Womit wurde der Kopf abgeschlagen?«
    »Der in dem Mülleimer?« fragte Blas. »Mit einer Machete. Die Machete hinterläßt eine unverkennbare Wunde. Kein Sägemuster.«
    »Haben Sie auch die Mörder identifiziert?«
    »Noch nicht«, sagte die Kommissarin. »Aber das werden wir.«
    »Wie viele Mordfälle pro Jahr, sagten Sie, gibt es?«
    »In Kuba? Etwa zweihundert«, sagte Blas.
    »Wie viele im Affekt?«
    »Alles in allem einhundert.«
    »Und bei wie vielen von den übrigen ist Rache das Motiv?«
    »Bei etwa fünfzig.«
    »Raub?«
    »Etwa vierzig.«
    »Drogen?«
    »Fünf.«
    »Womit fünf übrigbleiben. Wie würden Sie die charakterisieren?«
    »Organisiertes Verbrechen, zweifelsohne. Auftragsmorde.«
    »Wie organisiert? Welche Waffen wurden in diesen Fällen benutzt?«
    »Gelegentlich eine Pistole. Die brasilianische Taurus ist sehr populär, aber meistens wurden die Opfer erwürgt oder mit einem Messer oder einer Machete getötet. Wir haben hier keine echten Banden, nichts wie die Mafia.«
    »Macheten?« Das klang für Arkadi nicht nach modernem Mord. Natürlich erinnerte er sich an die Zeit, als ein russischer Mörder, der sein Messer abwischte, nachdem er seinem Opfer die Kehle durchgeschnitten hatte, als ein Ausbund von Raffinesse galt, doch das war in den seltsam unschuldigen Tagen vor dem weltweiten Geldtransfer und der Einführung von ferngezündeten Bomben gewesen. Womit Kuba, was seine kriminelle Evolution anging, etwa auf der Stufe der Galapagosinseln angekommen war. Mit einemmal war das Institute de la Medicina Legal wieder auf Normalmaß geschrumpft.
    »Bei Mord haben wir eine Aufklärungsrate von achtundneunzig Prozent«, sagte Blas. »Die beste der Welt.«
    »Freuen Sie sich«, sagte Arkadi.
     
    5
     
    Die russische Botschaft war ein dreißigstöckiger Turm, der von der Architektur her eine viereckige Brust und einen gepanzerten Kopf andeutete, die sich über der Stadt erhoben wie ein steinernes Ungetüm, das Kontinente durchquert und Ozeane durchwatet hatte, um schließlich knöcheltief in den grünen Palmen Havannas steckenzubleiben. An der Fassade glitzerte Spiegelglas, doch im ganzen stand das Gebäude in seinem eigenen Leichentuch aus Schatten und Stille.
    Zahlreiche Büros im Innern waren bis auf die Telefonbuchsen in der Wand leer. Kahle Stellen an den Wänden, Flecken auf den Läufern, staubige Flaschen, die sich in den Fluren reihten, und ein Lüftungssystem, das den Gestank von uralten Zigaretten verteilte, verbreiteten die Aura eines Geisterhauses. Aus dem Büro des Vizekonsuls Vitali Bugai blickte Arkadi auf eine Welt aus säulengerahmten Villen, die französische, italienische und vietnamesische Botschaft, mit aufwendigen Dipolantennen auf den Dächern und von rosafarbenen Hibiskusblüten umrankten Satellitenschüsseln in den Gärten.
    Bugai war ein junger Mann, dessen Züge sich in der Mitte seines weichen Gesichts zusammendrängten. Er trug eine Seidenrobe zu chinesischen Sandalen und schien im Raum zu schweben, angetrieben - so kam es Arkadi vor - von widersprüchlichen Regungen: einerseits Erleichterung, daß nicht ein weiterer russischer Staatsbürger tot war, andererseits verärgert, daß er sich mit dem Überlebenden eine weitere Woche herumschlagen mußte, und vielleicht auch ein wenig überrascht, daß ein Überbleibsel russischer Autorität in der Lage gewesen war, sich selbst zu verteidigen.
    »Die Häuser stammen alle aus der Zeit vor der Revolution.« Bugai trat zu Arkadi ans Fenster. »Es waren reiche Leute. Die größte Cadillac-Niederlassung der Welt war in Havanna. Als die Revolution kam, war die Straße zum Flughafen von

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