Nacht in Havanna
nun«, Blas lüftete das Laken auf dem Schreibtisch, »möchte ich Ihnen beweisen, daß Kuba trotz allen Aberglaubens nach wie vor mit dem Rest der Welt Schritt halten kann.«
Auf dem Schreibtisch thronte nun enthüllt ein 486er Computer, an den ein Scanner, ein Drucker sowie eine AchtmillimeterVideokamera angeschlossen waren, deren Linse von oben auf ein kleines Podest gerichtet war. In einem Ring auf dem Podest ruhte ein mit Draht zusammengeflickter und zur Kamera aufblickender Schädel mit einem Loch in der Mitte der Stirn. Sein klaffendes zahnlückiges Grinsen erinnerte an eine Zeichentrickfigur.
Arkadi hatte von einem solchen System bisher nur gelesen. »Das ist eine deutsche Identifikationstechnologie.«
»Nein«, erwiderte Blas, »das ist eine kubanische Technologie. Das deutsche System kostet inklusive Software mehr als fünfzigtausend Dollar. Unseres kostet nur ein Zehntel, weil wir ein orthopädisches Programm adaptiert haben. In diesem Fall haben wir zum Beispiel einen Kopf gefunden, dessen Zähne ausgeschlagen worden waren.« Blas tippte auf die Tastatur, und auf dem Bildschirm erschien das Farbbild eines mit Palmwedeln vollgestopften Mülleimers, der von einem abgeschlagenen Kopf gekrönt wurde. Auf Tastendruck verschwanden Polizisten und Mülleimer, um durch die Farbfotos von vier Männern ersetzt zu werden: einer auf seiner Hochzeit, ein zweiter, der auf einer Party feurig tanzte, ein dritter mit einem Basketball in der Hand und der letzte auf dem Rücken eines Pferdes. »Vier vermißte Männer. Welcher könnte es sein? Früher konnte ein Mörder vielleicht darauf vertrauen, daß man ein Gesicht ohne Zähne im fortgeschrittenen Zustand der Verwesung nicht mehr mit irgendwelchen Fotos oder anderen Dokumenten in Übereinstimmung zu bringen vermochte. Schließlich ist die Natur hier auf Kuba ein sehr effizienter Leichenbestatter. Heutzutage jedoch brauchen wir nur ein deutliches Foto und einen sauberen Schädel. Sie sind unser Gast, wählen Sie.« Arkadi entschied sich für den Bräutigam, und sofort nahm sein Bild den ganzen Monitor ein, seine nervös hervortretenden Augen, seine Haare, sorgfältig drapiert wie die Rüschen seines Hemdes. Dr. Blas zog eine Maus über ein Pad, fuhr an den Konturen seines Kopfes entlang und löschte mit einem Mausklick Hemd und Schultern. Auf einen weiteren Tastaturbefehl wurde der Kopf auf die linke Seite des Bildschirms verschoben, während rechts der Schädel auftauchte, der in die Videokamera starrte wie ein Patient, der auf den Bohrer des Zahnarztes wartet. Blas rückte den Schädel so zurecht, daß er in exakt dem gleichen Winkel in die Kamera blickte wie das Gesicht, das er auf den Maßstab des Schädels vergrößerte. Dann vertiefte er die Schatten, bis das Fleisch zu schmelzen schien und die Augen in Höhlen versanken. Er plazierte weiße Pfeile am Kiefer und am Scheitel sowie an beiden Schläfen, in Augen- und Nasenhöhlen, entlang der Jochbogen und am Kinn. Verglichen mit der mühsamen Rekonstruktion von Gesichtern, die Arkadi aus Moskau kannte, bei der langwierig Plastikmasse auf einen Gipsknochen aufgetragen wurde, geschah diese Manipulation mit Lichtgeschwindigkeit. Blas fügte die gleichen Pfeile an den gleichen Stellen des Fotos ein und rief per Tastaturbefehl eine Reihe von Pixeln auf, die den Abstand zwischen den sich jeweils entsprechenden Pfeilen angaben. Mit einem letzten Druck auf die Tastatur verschmolzen die beiden Köpfe zu einem verschwommenen Bild, in dem eine Reihe von Zahlen über die Pfeile geschoben wurde.
»Die Zahlen markieren die Diskrepanzen, die sich zwischen dem Vermißten und dem Schädel des Opfers ergeben, wenn man sie genau übereinanderlegt. Damit haben wir wissenschaftlich bewiesen, daß es sich nicht um denselben Mann handeln kann.«
Blas begann von vorn, diesmal mit Bild Nummer drei, einem stolz lächelnden Jungen in einem Chicago-Bulls-T-Shirt, der in einer Hand einen Basketball hielt. Blas stellte den Kopf des Jungen frei, vergrößerte ihn und rückte den Schädel auf dem Bildschirm zurecht. Die Abstände zwischen den Pfeilen waren praktisch identisch, und als Blas die beiden Bilder übereinanderblendete, schossen die Zahlen auf Null, und vom Bildschirm blickte ihnen ein einziges, gleichzeitig totes und lebendiges Gesicht entgegen. »Jetzt wird unser Vermißter nicht mehr vermißt, und Sie haben gesehen, daß wir in Kuba auch das vermeintlich Unmögliche möglich machen.«
»Deshalb wollten Sie ein Foto von
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