Nacht in Havanna
Sie mich nachsehen«, sagte Bugai, bevor Arkadi einen weiteren Schritt machen konnte. Er wich bis zum Bücherregal zurück, aus dem er ein ledergebundenes Album zog, das er auf dem Schreibtisch aufklappte, wo er begann, die mit Fotos beklebten Seiten durchzublättern. »Gäste und gesellschaftliche Ereignisse. Maifeiertag. Der mexikanische Cinco de Mayo. Ich habe Ihnen ja gesagt, daß Pribluda zu solchen Anlässen nicht kam. Vierter Juli mit den Amerikanern. Die Amerikaner haben keine Botschaft, nur eine sogenannte Interessenvertretung, die größer ist als eine Botschaft. Oktober, der Tag der Sklavenbefreiung. Wußten Sie, daß Fidels Vater ein spanischer Soldat war, der gegen Kuba gekämpft hat? Dezember. Vielleicht finden wir da eines. Wir hatten immer eine traditionelle Neujahrsfeier mit Großväterchen Frost für russische Kinder, ein größeres Ereignis. Jetzt haben wir nur noch wenige Kinder, und die wollen einen Nikolaus und eine Weihnachtsfeier.«
Auf dem Foto saßen zwei Mädchen mit Schleifen im Haar auf dem Schoß eines bärtigen Mannes in einem dicken roten Mantel, eine rundliche Gestalt, deren Wangen mit Rouge zu einem munteren Leuchten gebracht worden waren. Unter einem mit Lametta behängten Baum lagen Geschenke ausgebreitet. Hinter den Kindern war ein Büffet aufgebaut, an dem eine Reihe von Erwachsenen Käseteller, Weihnachtsgebäck und Gläser mit süßem Sekt balancierte. Am hinteren Ende schob sich ein Mann, der Sergej Pribluda gewesen sein könnte, die ganze Hand in den Mund. »Die Hitze in dieser Montur war unerträglich.«
»Sie haben sie getragen?« Arkadi betrachtete das Bild genauer. »Sie sehen nicht gut aus.«
»Rechtsherzinsuffizienz. Eine Funktionsstörung des rechten Ventrikels.« Seinen Arm knetend, ging Bugai um den Schreibtisch und kramte in den Schubladen. »Bilder. Ich werde eine Liste mit möglichen Namen und Adressen erstellen. Mostowoi ist ein Amateurfotograf, und dann ist da noch Olga.«
»Sie sollten in Moskau sein.«
»Nein, ich habe mich extra nach Kuba beworben. Hier mag es an Medikamenten mangeln, aber es gibt ausgezeichnete Ärzte, mehr Ärzte pro Kopf als irgendwo sonst auf der Welt, und sie jeden, einen General, einen Bauern, einen kleinen Mann, der Zigarren dreht, es ist ganz egal. Moskau? Wenn man kein Millionär ist, wartet man mindestens zwei Jahre auf eine Operation. Ich wäre längst tot.« Bugai blinzelte durch einen Film aus Schweiß. »Ich kann Kuba nicht verlassen.«
Elmar Mostowoi hatte das runde Gesicht eines Affen, geschwungene Fingernägel und ein lockiges orangefarbenes Haarteil, das auf seinem grauen Kopf saß wie ein Souvenir. Arkadi schätzte ihn auf Mitte Fünfzig, aber noch gut in Form, der behaarte Typ, der Liegestütze auf den Fingerspitzen machte und sich an eine strenge Diät aus Vitaminen und genug Zigaretten hielt, um seine Zähne braun wie Holz aussehen zu lassen. Er lebte in Miramar, dem Viertel, in dem auch die Botschaft ihren Sitz hatte, in einem Hotel am Meer namens Sierra Maestra, das viel Ähnlichkeit mit einem sinkenden Frachter hatte: schräge Balkone, verrostete Geländer und ein Blick aufs Wasser. Mostowois Apartment war jedoch recht feudal eingerichtet, mit vanillefarbenen Ledersesseln und einem Ledersofa auf einem weichen, langflorigen Teppich. Inmitten dieses Ensembles thronte Mostowoi in einer Fotografenweste aus Khaki mit zahlreichen Reißverschlüssen.
»Hier werden Polen, Deutsche und Russen untergebracht. Sie nennen es das >Sierra Maestra< ich nenne es >Zentraleuropa<.« Mostowoi steckte eine Marlboro in eine Zigarettenspitze aus Elfenbein. »Haben Sie den Popcornautomaten in der Halle gesehen? Absolut Hollywood.«
Mostowois Wohnung war dekoriert mit Filmplakaten (Lolita, Jenseits von Eden), den Fotos eines freiwilligen Exilanten (ein Pariser Bistro, ein Segeltörn, jemand, der dem Londoner Tower zuwinkt), Büchern (Graham Greene, Lewis Carroll, Nabokov) und Souvenirs (eine verstaubte Wahlkampfmütze, Bronzeglöckchen und Elfenbeinphalh in verschiedenen Größen). »Interessieren Sie sich für Fotografie?«
»Ja.«
»Sind Sie ein Kenner?«
»Auf meine Weise.«
»Mögen Sie Natur?« Es war sehr natürlich. Mostowoi besaß Schachteln mit Schwarzweißabzügen von jungen nackten Mädchen, von Palmwedeln halb verborgen, in den Wellen tollend oder hinter einem Bambus hervorblickend. »Eine Kreuzung zwischen Lewis Carroll und Helmut Newton.«
»Haben Sie irgendwelche Fotos von Ihren Kollegen an der
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