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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Botschaft?«
    »Bugai liegt mir ständig in den Ohren, ich solle Bilder von seinen sogenannten kulturellen Ereignissen machen, aber ich habe keine Lust. Man kann Russen einfach nicht dazu bringen, so zu posieren. Man kann sie nicht einmal dazu bewegen, sich auszuziehen.«
    »Vielleicht eine Frage des Klimas.«
    »Nein, nicht einmal hier.« Mostowoi betrachtete sinnierend das Foto eines dünn mit Sand panierten Mädchens. »Hier gelingt es den Leuten irgendwie, Sozialismus und Naivität miteinander in Einklang zu bringen. Und indem ich mit Kubanern verkehre, entgehe ich der Paranoia, die den Rest unserer schrumpfenden Gemeinde ergriffen hat.«
    »Was für eine Paranoia?«
    »Die Paranoia der Ignoranz. Wenn ein Geheimdienstagent wie Pribluda mitten in der Nacht im Hafen rumschwimmt, was sollte er anderes tun als spionieren? Wir ändern uns nie. Es ist widerlich. So ergeht es den Europäern im Paradies, wir bringen uns selbst um und geben den Eingeborenen die Schuld. Ich hatte gehofft, Pribluda hätte mehr Verstand gehabt. Der KGB hat früher sehr zivilisierte Leute hervorgebracht, wissen Sie. Ich habe einmal etwas auf französisch zu Pribluda gesagt, und er hat mich angesehen, als ob ich chinesisch reden würde.«
    Mostowoi öffnete eine weitere Schachtel. Das oberste Bild zeigte ein Mädchen, das einen Volleyball an sich drückte. »Meine Sportserie.«
    »Haben Sie noch mehr von dieser expressiven Sorte.« Die nächste Aufnahme war ein Akt eines hellhäutigen Mädchens, das im Schoß einen Totenkopf hielt. Sie warf der Kamera durch eine Lockenmähne, die ihre Brüste nur halb bedeckte, einen schwülfinsteren Blick zu. Um sie herum waren heruntergebrannte Kerzen, Trommeln und Rumflaschen drapiert. »Das ist die falsche Schachtel«, sagte Mostowoi. »Meine Regnerischer-Tag-Serie. Wir haben sie hier drinnen aufgenommen und mußten mit den Requisiten arbeiten, die gerade zur Hand waren.« Der Schädel war eine billige Kopie, die vor allem um Augen- und Nasenhöhle Details vermissen ließ. Doch Arkadi war trotzdem beeindruckt, wie viele Gegenstände ein ernsthafter Fotograf für einen regnerischen Tag bereithalten mußte. Im nächsten Bild modellierte ein nur mit einer Baskenmütze bekleidetes Mädchen Ton. »Sehr künstlerisch.«
    »Danke, sehr nett von Ihnen. Es gibt Gespräche über eine Ausstellung in der Botschaft, aber Bugai hält mich hin. Doch das ist mir egal. Ich hoffe nur, daß ich mit meiner Kamera zur Stelle bin, wenn er seinen Herzinfarkt hat.«
     
    Sie war stämmig, fast drall, mit dünnem, einst blondem Haar, das zu einem Grau verblaßt war, und kleinen, von der Erinnerung ein wenig feuchten Augen. Obwohl ihre Klimaanlage nicht funktionierte, war Olga Petrownas Wohnung ein kleines Stück Rußland mit einem orientalischen Teppich an der Wand, Blumentöpfen mit wuchernden Geranien und einem quietschgelben Kanarienvogel, der in einem Käfig vor sich hin trillerte. Der Tisch war mit dunklem Brot, Bohnensalat, Sardinen, Krautsalat mit Granatapfelkernen und drei Sorten saurem Eingelegten gedeckt. Neben einem elektrischen Samowar standen ein Gefäß mit Gelee und Teegläser in silbernen Haltern. Sie ging für Arkadi ihre Fotoalben durch, während sie sich immer wieder damenhaft ihr Kleid zurechtzupfte. »Die reichen fünfundzwanzig Jahre zurück. Was für ein Leben das war. Unsere eigenen Schulen mit den besten Lehrern, gutes russisches Essen. Es war eine richtige eigene Gemeinde. Niemand hat spanisch gesprochen. Die Kinder hatten ihre Pionierlager, alles auf russisch, mit Bogenschießen, Bergsteigen und Volleyball. Nicht dieser Baseballschwachsinn der Kubaner. Unsere eigenen Strande, unsere eigenen Clubs, und natürlich gab es ständig Geburtstage und Hochzeiten, richtige Familienfeste. Man war stolz darauf, ein Russe zu sein, stolz darauf, daß man hier auf dieser Insel weit weg von zu Hause den Sozialismus gegen die Amerikaner verteidigt hat. Kaum zu glauben, wie stark und selbstbewußt wir waren.«
    »Sind Sie so etwas wie die inoffizielle Chronistin der Botschaft?«
    »Die Mutter der Kompanie. Ich bin länger hier als irgend jemand sonst. Ich bin gekommen, als ich noch sehr jung war. Mein Mann ist tot, und meine Tochter hat einen Kubaner geheiratet. In Wirklichkeit bin ich die Geisel meiner Enkelin. Wenn ich nicht wäre, würde sie überhaupt kein Russisch sprechen. Wer kann sich so etwas vorstellen? Sie heißt Carmen. Ist das ein Name für ein russisches Mädchen?« Sie goß Arkadi Tee ein und gab mit einem

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