Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
Vom Netzwerk:
verschwörerischen Lächeln einen Löffel Gelee dazu. »Wer braucht schon Zucker?«
    »Vielen Dank. Ist Ihre Enkelin auch auf der Weihnachtsfeier der Botschaft gewesen?«
    »Hier ist sie.« Olga Petrowna schlug die ersten Seiten des offenbar aktuellsten Albums auf und wies auf ein Mädchen mit lockigen Haaren und einem weißen Kleid, das die Kleine aussehen ließ wie eine wandelnde Hochzeitstorte. »Wirklich hübsch.«
    »Finden Sie?«
    »Unbedingt.«
    »Es ist schon eine interessante Mischung, russisch und kubanisch. Sie ist sehr altklug und ein klein wenig exhibitionistisch veranlagt. Carmen - alle Kinder - wollten unbedingt einen amerikanischen Nikolaus. Das kommt vom Fernsehen.«
    Schnappschuß für Schnappschuß folgte Arkadi dem Weg des kleinen Mädchens auf den Schoß des Nikolaus, der ihr irgend etwas ins Ohr flüsterte, bevor sie zum Büffet ging. Arkadi wies auf einen breiten Rücken an einem der Tische. »Ist das nicht Sergej Pribluda?«
    »Woran haben Sie das erkannt? Carmen war es, die ihn überredet hat, mit auf die Feier zu kommen. Er arbeitete immer soviel.« Olga Petrowna sprach mit höchster Wertschätzung von Pribluda: eine starke Persönlichkeit, ein echtes Mitglied der Arbeiterklasse, ein Patriot, nie betrunken, aber auch nicht nüchtern, still, aber klug, offensichtlich ein Agent, aber nicht die Sorte, die geheimnisvoll tat. Auf jeden Fall kein Schwächling wie Vizekonsul Bugai. »Erinnern Sie sich noch an das Wort >Genosse    »So würde ich Sergej Sergejewitsch bezeichnen, im besten Sinn des Wortes. Und so kultiviert.«
    »Ach, wirklich?« Diese Sichtweise von Pribluda erschien ihm so neu, daß er sich fragte, ob sie von ein und demselben Mann sprachen. Trotz ihrer großen Achtung vor dem Oberst hatte Olga Petrowna leider keine weiteren Fotos von ihm. »Oh, da ist sie ja!« rief sie mit einem Mal unvermittelt. In der Tür stand ein etwa achtjähriges Mädchen in einem zu kleinen, verwaschenen braunen Schulpullover. Sie zog die Brauen zusammen und musterte Arkadi mißtrauisch. »Carmen, das ist unser Freund, Bürger Renko.«
    Das Mädchen machte drei entschlossene Schritte nach vorn, rief »Hai!« und setzte zu einem Tritt an, der nur Millimeter vor seiner Brust endete. »Onkel Sergej kann Karate.«
    »Wirklich?« Arkadi hatte Pribluda eher für einen Liebhaber des gepflegten Nierenhakens gehalten. »In seinem Koffer hat er einen schwarzen Gürtel.«
    »Hast du den mal gesehen?«
    »Nein, aber ich weiß es.« Sie schlug einen Karatehieb in die Luft, und Arkadi wich zurück. »Hast du gesehen? Fists of Fear.«
    » Ich denke, das ist jetzt genug«, sagte Olga Petrowna. »Du mußt bestimmt noch Schularbeiten machen.«
    »Wenn er ein Freund von Onkel Sergej ist, will er es bestimmt sehen.«
    »Es reicht, junge Dame.«
    Carmen musterte Arkadi von oben bis unten und sagte: »Blöder Mantel.«
    Olga Petrowna klatschte in die Hände, bis das Mädchen das Kinn senkte und ins Nachbarzimmer marschierte. »Tut mir leid, aber so sind Kinder heutzutage.«
    »Wann haben Sie Sergej Sergejewitsch zum letztenmal gesehen?«
    »An einem Freitag nach der Arbeit. Ich war mit Carmen zum Malecon gegangen, um ein Eis zu essen. Er redete mit einem Kubaner. Ich weiß noch, daß Carmen gesagt hat, sie habe irgendwas brüllen gehört, und Sergej Sergejewitsch sagte, daß sein Nachbar einen Löwen halten würde, der kleine Mädchen frißt. Sie wurde so nervös und ängstlich, daß wir nach Hause gehen mußten. Normalerweise haben sie sich großartig verstanden.«
    Als Arkadi sich auf dem Stadtplan die Stelle zeigen ließ, zeigte sie auf den Malecon in Höhe von Pribludas Wohnung. »Sergej Sergejewitsch hatte eine Kapitänsmütze auf, und der Kubaner trug einen dieser riesigen Reifenschläuche, mit denen sie fischen gehen. Ich kann mich nur noch daran erinnern, daß es ein Schwarzer war.«
    »Haben Sie auch ein Brüllen gehört?«
    »Irgendwas in der Richtung, schon möglich.« Als sie die Alben wieder wegräumte, fragte sie: »Wie ist Sergejewitsch gestorben?«
    »An einem Herzinfarkt, heißt es.«
    »Aber Sie haben Ihre Zweifel?«
    »Ich möchte nur gern sichergehen.«
    Olga Petrowna seufzte. In der Zeit, die sie in Havanna verbracht hatte, war die Stadt ein zweites Haiti geworden. Und Moskau war von Tschetschenen und Banden überrannt worden. Wohin konnte man noch gehen?
     
    Arkadi nahm ein Taxi zurück zum Malecon und ging die letzten paar Blocks zu Pribludas Wohnung zu Fuß,

Weitere Kostenlose Bücher