Nacht in Havanna
Theater, egal, was. Sehen Sie, wo Kubaner heute überall tanzen? In New York, Paris, London. Es muß für den Anfang gar nicht das Bolschoi sein, wenn Sie mich nur hier rausholen.«
Über Isabels Schulter hinweg sah Arkadi, wie George Washington Walls beim Betreten des Hofs stolperte und beinahe hinfiel. Seine blasse Gesichtsfarbe wurde für einen Moment noch blasser, bevor er sich wieder im Griff hatte. Der energische Gang des Amerikaners verlangsamte sich zu einem kubanischen Schlendern, kombiniert mit der selbstbewußten Lässigkeit eines Schauspielers. Er trug gebügelte Jeans und einen makellos weißen Pullover über braunen Muskeln. Der Mann mußte um die Fünfzig sein, dachte Arkadi, doch im Film wäre er noch als jugendlicher Held durchgegangen. Warum auch nicht? Arkadi erinnerte sich vage an die Antikriegsproteste, den Marsch auf Washington und das Flugzeug. Beim Überqueren des Hofs klopfte Walls hier auf eine Schulter und lächelte dort strahlend in eine Runde. Einzig Isabel, die sich seinem Kuß entzog, schien unzugänglich für seinen Charme. »Oh, oh«, sagte er und setzte sich neben Arkadi, »ich bin schon so gut wie passe. Offenbar sind Sie der neue Liebling der Stadt, Arkadi.«
» Comemierda«, zischte Isabel über den Tisch gebeugt, bevor sie ihre Zigarette ausdrückte und zurück zum Proberaum marschierte. »Wollen Sie, daß ich das übersetze?« fragte Walls Arkadi. »Nein.«
»Gut. Sie kann so bösartig sein, wie sie schön ist, und sie ist eine wunderschöne Lady.« Als sie verschwunden war, widmete Walls Arkadi seine volle Aufmerksamkeit. »Interessieren Sie sich für Ballett? Ich trage natürlich zu der guten Sache hier bei, wo ich kann, aber ich persönlich bin mehr ein Boxfan. Ich sehe mir ständig Kämpfe an. Sie auch?«
»Eher selten.«
»Aber hin und wieder.« Walls begutachtete die Reparaturen an Arkadis Kopf. »Und was ist mit Ihnen passiert?«
»Ich glaube, es war Baseball.«
»Was für ein Spiel! Hören Sie, ich wollte mich dafür bedanken, daß Sie Luna gestern abend aufgehalten haben.«
»Ich denke, daß Sie auch dazu beigetragen haben.«
»Nein, Sie waren es, und das war richtig so. Der Sargento ist durchgedreht. Das kommt vor auf Kuba. Wissen Sie, wer ich bin?«
»George Washington Walls.«
»Ja, das sagt alles, nicht wahr? Und da sitze ich nun und horche jeden aus, mit dem Isabel redet. Ich muß zugeben, daß Sie mich überrascht haben. Gestern abend bin ich auch nicht besonders nett rübergekommen. Mein Problem ist, daß ich zwar so etwas wie der Eider Statesman aller Radikalen bin, die auf der Flucht in Kuba gelandet sind, aber wenn es um Isabel geht, bin ich wie ein wütender kleiner Junge.«
»Das ist schon in Ordnung«, meinte Arkadi und wechselte das Thema. »Wie war das denn so, >auf der Flucht< zu sein?«
»Nicht übel. In Ostdeutschland, der guten alten Demokratischen Republik, haben die blonden Hildas und Ilsen Schlange gestanden, um unter dem schwarzen Kommandanten zu dienen. Ich hielt mich für einen Gott. Und jetzt versuche ich verzweifelt, Isabel auch nur ein Lächeln zu entlocken.«
»Sie sind schon eine Weile hier.«
»Ich bin schon seit einer Ewigkeit hier. Ich weiß auch nicht, was zum Teufel ich mir dabei gedacht habe. Die Wahrheit ist, daß mein Mundwerk mir immer ein bißchen voraus ist. Mein Mund sagte: >Ich gehe nicht in den Krieg, ich werde nicht zulassen, daß ihr meine schwarzen Brüder im Süden rumschubst, ich entführe dieses Scheißflugzeug.< Und der Rest von mir sagte: >Das war doch alles gar nicht so gemeint, schlag mich bitte nicht noch einmal.< Ich habe nicht geglaubt, daß sie mich wirklich nach Havanna bringen würden. Aber ich war so total mit Speed zugeknallt, daß mir die Augen fast aus dem Kopf quollen, dazu habe ich im Cockpit mit einer dicken Cowboyknarre rumgewedelt, und da müssen die wohl gedacht haben, daß ich ein verdammt gefährlicher Bursche bin.
Ich stieg also hier aus dem Flugzeug, und eine der Stewardessen gab mir eine kleine amerikanische Flagge. Was ging bloß in deren Kopf vor? Ich weiß es nicht. Scheiße, ich hab’ sie verbrannt. Was sonst? Das Bild wurde überall gebracht. Hat das FBI ganz schön auf die Palme getrieben. Sie haben mich zum meistgesuchten Verbrecher der USA erklärt, während ich für die andere Hälfte der Welt ein Held war. Und das bin ich jetzt seit fünfundzwanzig Jahren, ein Held. Sie haben es zumindest versucht. Sie dachten, sie hätten es mit einem knallharten Revolutionär zu tun,
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