Nacht in Havanna
Essen. »Es gefällt mir, daß Sie dünn sind.«
Arkadi zündete sich eine Zigarette an und genoß das unvermutete Kompliment.
»Sie sehen ja, unter welchen Bedingungen wir arbeiten müssen«, sagte Isabel.
»Das scheint Sie aber nicht abzuhalten. Tänzer tanzen, egal, was, oder?«
»Sie tanzen, um zu essen. Das Ballett ernährt uns besser als die meisten Kubaner. Und dann gibt es immer noch die Möglichkeit, sich von einen verknallten Spanier aus Bilbao eine Wohnung mieten zu lassen, wofür wir nur die Hose herunterlassen müssen, wenn er in der Stadt ist. Die anderen Mädchen würden sagen: >O Gloria, du kannst dich glücklich schätzen.< Aber ich würde mir eher die Kehle durchschneiden, als so zu leben. Die anderen bekommen immerhin von Zeit zu Zeit die Chance, zu reisen und entdeckt zu werden, während ich hier verrotte. Sergej wollte mir helfen.«
»Eine Ballerina, die nach Rußland überläuft?«
»Sie lachen?«
»Das ist mal was anderes. Ich wußte gar nicht, daß Pribluda sich für Ballett interessiert hat.«
»Er hat sich für mich interessiert.«
»Das ist etwas anderes«, räumte Arkadi ein. Ihre Ichbezogenheit war so vollkommen, daß sie sein lädiertes Gesicht noch gar nicht bemerkt hatte. »Sie standen sich nahe?«
»Was mich betrifft, bloß gute Freunde.«
»Er wäre Ihnen gern nähergekommen?«
»Das nehme ich an.«
»Hatte er irgendwelche Fotos von Ihnen?« Arkadi dachte an das Bild in Pribludas Schreibtischschublade, das Isabel in einer hingebungsvollen Pose zeigte. Die echte Isabel war stahlhart.
»Ich glaube schon.«
»Hatten Sie irgendwelche Fotos von ihm?«
»Nein.« Offenbar fand sie die Frage lachhaft. »Oder von Ihnen beiden zusammen?«
»Ich bitte Sie.«
»Ich frag’ ja nur.«
»Sergej wollte eine andere Beziehung, aber er war so alt, nicht gerade der attraktivste Mann auf der Welt und auch nicht besonders kultiviert.«
»Er konnte ein Phe nicht von… was auch immer unterscheiden?«
»Genau.«
»Aber er wollte etwas für Sie tun.«
»Ich habe Ihnen doch erzählt, daß Sergej für mich mit Moskau verhandelt hat. Sind Sie sicher, daß kein Brief oder ein E-Mail gekommen ist?«
»Weswegen?«
»Um aus diesem elenden Land rauszukommen.«
Arkadi hatte das Gefühl, mit einer Märchenprinzessin zu reden, die in einem Turm gefangengehalten wurde.
»Wann haben Sie Sergej zum letzten Mal gesehen?«
»Vor zwei Wochen. Es war der Tag der Premiere von Cinderella. Eine der Solotänzerinnen war krank geworden, ich mußte als eine der häßlichen Stiefschwestern einspringen, und es gab Probleme mit meiner Perücke, weil die häßlichen Stiefschwestern hier in Kuba blond sind. Das heißt, es war ein Freitag.«
»Um wieviel Uhr?«
»Morgens so gegen acht. Ich habe auf dem Weg nach unten geklopft, und er ist mit Gordito an die Tür gekommen?«
»Mit Gordito?«
»Seine Schildkröte. Den Namen habe ich ihr gegeben. Es bedeutet >Dickerchen<.«
Arkadi konnte sich vorstellen, wie Pribluda die Tür öffnete. Hatte der Oberst sich in die Rolle eines fahrenden Ritters geträumt, der Isabel von ihrer Insel der Verbannung retten würde?
»Sie wohnen direkt über Pribluda«, sagte Arkadi, »ist Ihnen aufgefallen, wer ihn besucht hat?«
»Wer würde schon einen Russen besuchen, wenn man weiß, daß sein Haus beobachtet wird?«
»Wer beobachtet es denn?«
Sie faßte sich ans Kinn, als könnte auf ihrer zarten Haut plötzlich ein Bart sprießen. »Er beobachtet. Er beobachtet alles.«
»Als Sie Pribluda zum letzten Mal gesehen haben, hat er da gesagt, was er an diesem Tag vorhatte?«
»Nein, er hat nie rumgeprahlt wie George, der immer große Töne spuckt. Aber Sergej hat Sie geschickt.«
»Er hat mich nicht geschickt, ich bin einfach gekommen.« Arkadi versuchte, das Gespräch wieder in die richtige Bahn zu lenken. »Haben Sie Sergej je mit einem Sargento Luna vom Innenministerium gesehen?«
»Ich weiß, wen Sie meinen. Nein.« Isabel belohnte ihn mit einem Lächeln. »Sie haben Luna gestern abend die Stirn geboten. Ich habe Sie gesehen.«
»Eher kläglich.« Arkadi erinnerte sich vor allem daran, daß die Situation durch die Ankunft von Criminalista Osorio gerettet worden war.
»Und Sie werden mich retten«, sagte sie und legte ihre kühle Hand auf seine, als ob sie zu einer Übereinkunft gekommen wären. »Wenn der Brief aus Moskau kommt, brauche ich sofort eine Einladung nach Rußland. Pues, das müssen Sie über eine Kulturinstitution einfädeln, eine Tanzkompanie, ein
Weitere Kostenlose Bücher